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Mentaltrainer Günter Amesberger (re): "Jeder Spieler muss sich schon vorher mit den Folgen von Sieg und Niederlage auseinandergesetzt haben, damit er möglichst frei im Kopf ist."

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Stegersbach - Das Duell zwischen Österreich und Deutschland im letzten Spiel der Fußball-EM-Gruppe B könnte am Montag zu einer historischen Angelegenheit werden. Für Günter Amesberger, den Sportpsychologen im ÖFB-Team, ist aber gerade ob der fast ungewöhnlich groß dimensionierten Begleitumstände mentale Normalität Trumpf.

"Das sportpsychologisch so Interessante an solchen außergewöhnlichen Ereignissen ist, das Gleiche unter anderen Bedingungen zu leisten", sagte Amesberger, Sportpsychologe an der Universität Salzburg. "Von der Vorbereitung her bedeutet es, möglichst das Gleiche zu machen wie immer."

Vorbereitung von Mal zu Mal besser

Das in der Öffentlichkeit hochgeschaukelte Spiel ist für den 49-Jährigen so betrachtet nur eines unter vielen. "Wir haben uns jetzt immer auf sehr wichtige, sehr, sehr schwierige Spiele vorbereitet. Diese Vorbereitung wird von Mal zu Mal besser. Die größte Gefahr wäre jetzt, etwas ganz anderes zu machen, nur weil es eine andere Situation ist. Die zentrale Geschichte ist, das Bisherige zu nutzen."

Vorhandenes Potenzial ausschöpfen

Die Sache liege relativ klar: "Es geht darum, sehr, sehr gut Fußball zu spielen. Wir reden mit den Spielern, aber wir machen keine außertourliche, spezielle Aktion, die wir vorher nie gemacht haben. Da ist es auch gut, dass man einen so routinierten Trainer wie Josef Hickersberger hat. Es geht nicht darum, etwas neu zu erfinden, sondern zu fokussieren, was da ist. Also das vorhandene Potenzial auszuschöpfen."

Begleitmusik

Die Begleitmusik des Duells würde in gedämpfter Form auch an die Ohren der Spieler dringen. "Das sickert schon durch. Darum geht ja gerade die Arbeit in die andere Richtung. Natürlich weiß jeder, dass es etwas Besonderes ist, dass sich viele freuen, wenn wir gut spielen bzw. noch mehr sich freuen, wenn wir schlecht spielen. Diese Hintergrundinformationen sind natürlich vorhanden beim Spieler. Deshalb fokussieren wir auf das Spiel und nicht auf die ganze Zusatzthematik."

"Worst case"-Szenario

Die psychologische Arbeit, die schon vor Monaten eingesetzt habe, ziele nicht zuletzt auf vorbewusste Prozesse ab: "Die Spieler schauen sich optimale Aktionen von sich selbst an, visualisieren x-mal, wie sie in einer Schlüsselsituation reagieren. Wenn ich das erste Mal überlege, ich könnte der Jolly Joker sein und in die Mediengeschichte eingehen, während ich mir den Ball auflege, dann ist es zu spät", beschrieb Amesberger ein "worst case"-Szenario. "Jeder Spieler muss sich schon vorher mit den Folgen von Sieg und Niederlage auseinandergesetzt haben, damit er möglichst frei im Kopf ist."

Mentales Trainingshandbuch

Dazu hätten die Spieler schon vor einem Jahr ein "mentales Trainingshandbuch" bekommen, "wo viele Strategien drinnen sind, auf die wir uns immer wieder beziehen. Damit man sich wirklich aufs Spiel konzentrieren kann. Das sind Dinge, die man nicht in den letzten zwei Tagen vor dem Spiel haben kann".

Die Spieler seien grundsätzlich auch auf ganz bestimmte und oft auftretende Situationen vorbereitet: Provokation durch den Gegner, Verhalten bei einer Gelben Karte, Pfeifen des Publikums bei einem Rückspiel des Balles zum Tormann oder einem frühen Rückstand wie im ersten EM-Spiel gegen Kroatien.

Strategien

"Wir hatten diese Situation im Herbst 2007 gegen die Schweiz (0:1 in der 2., Ausgleich zum 1:1 in der 11. Minute, Anm.). Es gibt dafür also auch ein positives Muster", erklärte Amesberger. Erfolgsgarantie gebe es freilich keine. "Es ist eine enorm komplexe Situation und ein ganz natürlicher Prozess. Da muss man Stabilität wiedergewinnen. Wir haben den Spielern da Strategien gesagt, wie man gegensteuern kann."

Diese Strategien seien individuell verschieden. "Es gibt lageorientierte Personen, die lange nachdenken, während handlungsorientierte das wegstecken, einfach spielen und sich sagen ,schauen wir, was zum Schluss raus kommt'. Diese Dinge haben wir schon sehr langfristig versucht zu vermitteln."

"Ein Spickzettel hilft nichts"

Wie aber reagiert ein Spieler in eine solchen Situation am Feld? An Ort und Stelle auszuführende Tricks gebe es nicht: "Das würde bei der Komplexität im Fußball zu eng greifen. Ich bin vorsichtig bei solchen Stop-and-go-Regeln. Ich könnte mir natürlich für den Fall, dass man ein Gegentor bekommt, auf die Handinnenfläche ,go!' schreiben. Ich kenne solche Dinge aus dem Segelsport. Aber dort läuft es langsamer ab, das ist taktischer. Diese Dinge müssen eingeübt sein, an die kann sich der Spieler rückerinnern, aber ein Spickzettel hilft da nichts."

"Mächtige Mythen"

Die Gefahr einer selbsterfüllenden Prophezeiung - im konkreten etwa: "Die Deutschen gewinnen auch, wenn sie in Rückstand geraten" - sieht auch Amesberger. "Da entstehen sehr schnell mächtige Mythen. Es ist ein wichtiger Punkt für Sportler und Trainer, sich von diesen zu lösen."

"Ich kann sagen, ,Österreich gewinnt'. Da habe ich eine sichere Position. Oder ich sage, ,wir verlieren sowieso'. Auch dann habe ich Sicherheit. Oder ich blicke auf ein Spiel als offenes Ereignis. Und der Vorteil von dieser offenen Position ist, dass ich mich um die Lösung kümmern kann. Sonst baue ich mir von den mentalen Strategien her auch die Lösungen zu. Genauso gefährlich wäre es zu sagen, wir schießen ein Tor und dann gewinnen wir sicher'."

Der Spagat

Es sei aus Sicht der Spieler zudem nicht unbedingt logisch, die eigene Nervosität offenzulegen. "Sie wissen oft bis zum letzten Augenblick nicht, ob sie spielen. In solchen Situationen muss man als Psychologe sehr vorsichtig sein, um das Vertrauen aller Seiten zu genießen. Das ist grundsätzlich ein Spagat. Weil es ja auch wichtig ist, mit dem Trainer über Stimmungen in der Mannschaft zu reden."

In puncto Aufstellung gibt Amesberger Teamchef Josef Hickersberger aber keinen Wink mit dem psychologischen Zaunpfahl. "Ein Trainer denkt immer die momentane mentale Stärke des Spielers mit. Und wir (gemeinsam mit Mentaltrainer Patrick Bernatzky, Anm.) beraten den Trainer viel mehr im Hinblick auf den Einsatz mentaler Strategien, als zu sagen ,der Spieler X ist mental stärker als der Spieler Y'. Das würde ich mir nie zugestehen, das ist mein grundsätzliches Beratungsverständnis", betonte er.

"Alpha"-Mensch Vastic

Die gruppendynamische Rolle Ivica Vastics sieht Amesberger durchaus positiv, aber keineswegs verklärt. "Es ist von Haus aus so, dass man in Stresssituationen Alphas sucht, also Führerpersönlichkeiten, auf denen man alles abladen kann. Das Publikum hat sich da für Ivica Vastic entschieden. Im Team sieht man das realistischer." Der 38-Jährige werde da bei allem Respekt nicht als "Wunderwaffe" geschätzt.

"Er ist sicher eine sehr positive Erscheinung. Aber grundsätzlich erweitert jeder Spieler, der hineinkommt, die Chancen der Mannschaft. Bei Vastic kann man auf die Ruhe, bei den Jungen auf die Unbekümmertheit vertrauen", so Amesberger, der bereits bei vier Olympischen Spielen heimische Sportler betreut hat. "Es geht absolut um die Leistung jedes Einzelnen. Darauf arbeiten wir ja auch hin. Egal ob das ein Ersatz- oder ein Schlüsselspieler ist. Denn wir müssen aufs Kollektiv setzen." (APA)