Pristina/Belgrad - Vier Monate nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der albanischen Mehrheitsbevölkerung ist am Sonntag im Kosovo die Verfassung für den inzwischen von mehr als 40 Ländern anerkannten Staat in Kraft getreten. Präsident Fatmir Sejdiu setzte in Pristina (Prishtina) seine Unterschrift unter den 162-Artikel-Text mitsamt Übergangsbestimmungen. "Heute ist ein historischer Tag", sagte er bei der Unterzeichnungszeremonie. Die serbische Staatsführung bezeichnete die Verfassung der abtrünnigen Provinz umgehend als "rechtlich nicht existent".

Für den Abend (19.00 Uhr) war im Parlament in Pristina ein Festakt geplant, bei dem die neue Staatshymne gespielt werden soll, die ohne Text auskommt, um die serbische Minderheit nicht zu brüskieren. Mit dem Formalakt gehen allerdings wichtige Hoheitsrechte wie die Kontrolle von Polizei, Zoll und Justiz nicht auf die kosovarischen Staatsorgane über. Die UNO-Verwaltung UNMIK behält das letzte Wort in allen Bereichen. Unter dem UNMIK-Schirm steht auch die EU-Mission EULEX mit rund 2000 Polizisten, Richtern und Verwaltungsexperten. Der niederländische EU-Kosovo-Beauftragte Pieter Feith besitzt die Vollmacht, Entscheidungen der Staatsgewalt gegebenenfalls aufzuheben.

Die Verfassung definiert den Kosovo als "unabhängigen, souveränen, demokratischen, einheitlichen und unveräußerlichen Staat aller seiner Bürger". Nach den Aussagen von Feith werden die Vereinten Nationen weiterhin "wichtige verbleibende Funktionen" wahrnehmen. So wäre es selbst im Interesse der Kosovo-Vertreter, dass UNMIK das neue Staatswesen in internationalen und regionalen Strukturen vertrete, da Belgrad andernfalls eine Repräsentation des Kosovo blockieren würde. Feith hatte sich auch zuversichtlich gezeigt, dass der Kosovo "ziemlich bald und erfolgreich" der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds beitreten könne.

Der EU-Beauftragte hatte die serbische Minderheit zuletzt vor dem Aufbau eines Parallel-Parlaments gewarnt. Wichtigste Aufgabe von EULEX ist es, eine multi-ethnische Polizei, Justiz und Verwaltung im Kosovo aufzubauen und eine Unterdrückung der serbischen Minderheit durch die albanische Mehrheit zu verhindern. Die serbische Regierung hat die EULEX-Mission jedoch als nicht hinnehmbar abgelehnt.

Die Proklamation der Kosovo-Verfassung sei für Belgrad null und nichtig, stellte der serbische Staatspräsident Boris Tadic am Sonntag klar. Die serbischen Behörden, die die staatsrechtliche Loslösung der Provinz nicht akzeptieren, würden daher die Fortsetzung der Gespräche über die Zukunft des Kosovo beantragen. "Wir sind bereit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, und werden darauf bei allen internationalen Organisationen beharren", unterstrich der serbische Präsident. "Dies wird unsere Strategie und unsere Antwort auf die Ausrufung des illegalen sogenannten Staates Kosovo sein", so Tadic. Die feierliche Kundmachung und Inkraftsetzung der kosovarischen Verfassung sei ein politisches Ereignis mit schädlichen Folgen, das aber für Serbien in juridischer Hinsicht gegenstandslos sei, präzisierte er. Der serbische Ministerpräsident Vojislav Kostunica hat die Einberufung des Parlaments in Belgrad zu einer Dringlichkeitssitzung beantragt.

Besorgnis in der serbischen Volksgruppe

Der kosovarische Vizepremier Hajredin Kuci verwies unterdessen auch auf die große Aufmerksamkeit, die in der Verfassung den Minderheitengruppen und deren Rechten gewidmet wurde. Serben, Bosniaken und andere Minoritäten würden in der Verfassung an rund 20 Stellen besonders genannt, stellte Kuci fest. Unter der serbischen Volksgruppe im Kosovo machte sich vor dem Inkrafttreten der Verfassung Besorgnis spürbar, vor allem in den Enklaven südlich von Mitrovica. Während im Nordkosovo, wo die Serben eine kompakte Bevölkerungsgruppe ausmachen, die Verfassung zunächst wohl keine Auswirkung haben wird, wird dies in den Enklaven nicht der Fall sein.

Man werde sie beachten müssen, ansonsten gebe es Konflikte, warnte Rada Trajkovic, eine serbische Politikerin aus Gracanica bei Pristina. Oliver Ivanovic aus Mitrovica erwartet andererseits, dass die kosovarischen Institutionen nichts unternehmen würden, um die Anwendung der Verfassung auch im serbisch bewohnten Nordkosovo sofort durchzusetzen.

Entsprechend dem Plan Ban Ki-moons soll die UNMIK gerade im Nordkosovo ihre bisherige Rolle zunächst wahren und die Bereiche wie Polizei und ZoIldienst nicht der von den Serben als rechtswidrig betrachteten EULEX-Mission überlassen. Die serbische Volksgruppe will unterdessen ihren Kampf gegen die Staatlichkeit des Kosovo durch ihre Parallelinstitutionen fortsetzen. Für den 28. Juni, den St.-Veits-Tag (Vidovdan), wurde die Bildung eines serbischen Parallelparlamentes angekündigt.

Der Vidovdan ist der nationale Trauertag: 1389 unterlagen am 28. Juni in der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) die Serben den Osmanen. In den serbischen Enklaven wurden in den vergangenen Tagen bereits parallele Lokalbehörden gebildet. Sie waren bei der serbischen Kommunalwahl am 11. Mai gewählt worden, deren Ergebnisse weder von der UNMIK noch den Behörden in Pristina anerkannt wurden. (APA)