Im Fall einer 18 Jahre lang von ihrer eigenen Familie eingesperrten Italienerin kommen immer mehr Details über das Schicksal der Frau ans Tageslicht: Die heute 47-Jährige musste ohne Kontakt zur Außenwelt unter menschenunwürdigen Bedingungen in einem Zimmer ihres Elternhauses in Kampanien leben. Die Angehörigen wollten die Frau "bestrafen", weil sie unverheiratet ein Kind bekommen hatte.

Der heute 17-jährige Sohn der Isolierten wuchs bei der Großmutter, der Schwester und dem Bruder der Frau auf - den "Gefängniswärtern", die sie als Strafe für die Verletzung des Ehrenkodex der Familie eingesperrt hatten.

Von den österreichischen Fällen Kampusch und F. aus Amstetten unterscheidet sich das Schicksal der süditalienischen Frau vor allem darin, dass Maria M. unter katastrophalen hygienischen Bedingungen lebte. "Die Frau wohnte isoliert in einem fensterlosen Raum, der mit einem verdreckten und unbenützbaren Bad verbunden war", schilderte der örtliche Carabinieri-Kommandant die Situation der Gefangenen. Das karge Essen sei in einem Blechnapf auf einen Stuhl gestellt worden, der neben einem schmutzigen Bett das einzige Möbelstück gewesen sei.

Ins Krankenhaus gebracht

Die Frau, die nur mit Mühe gehen kann, wurde in die psychiatrische Abteilung eines neapolitanischen Krankenhauses gebracht. Der Bruder, ein 45-jähriger Landwirt, und die Schwester, eine 51-jährige Kindergärtnerin, wurden wegen Freiheitberaubung, Misshandlung und Nötigung verhaftet. Über die 80-jährige Mutter wurde Hausarrest verhängt.

Angaben der Polizei zufolge leistete die Familie keinen Widerstand gegen die Befreiung der Frau. Sie sei fest von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns überzeugt gewesen, das sie als angemessene Strafe für die unerwünschte Schwangerschaft wertete. (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD-Printausgabe,16.6.2008)