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Eingesperrt, aber ausgelassen: Türkische Fans Sonntagabend in der Wiener Fanzone.

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Große Euphorie gab es am Sonntag unter anderem auch in Istanbul...

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...und in Berlin-Kreuzberg.

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Traurige Gesichter beim Public Viewing in Prag.

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"Wir haben immer daran geglaubt", sagte der Teamchef. Und: "Ich bin froh, dass ich eine Mannschaft habe, die niemals aufgibt – bis der Schiedsrichter pfeift."

Fatih Terim kann wahrlich stolz auf seine Mannen sein. Der Anschlusstreffer von Arda Turan, der schon gegen die Schweiz in der Nachspielzeit das 2:1 erzielt hatte, setzte am Sonntagabend im türkischen Nationalteam noch einmal neue Kräfte frei. Am Ende war es Kapitän Nihat, der erst von einem Patzer von Tschechien-Keeper Petr Cech profitierte (87.) und die Türkei zwei Minuten später in den siebenten Fußball-Himmel schoss.

"Das waren die wichtigsten Tore, die ich jemals geschossen habe", sagte Nihat. Die Emotionen jener Schlussphase hätten alles bisher Dagewesene in seiner Karriere übertroffen, gestand er. "Nach der Niederlage gegen Portugal (0:2) haben nur noch wenige Leute an uns geglaubt. Aber jetzt stehen wir im Viertelfinale und wir schreiben weiter Fußball-Geschichte." Als Wendepunkt der Partie bezeichnete der bescheidene Stürmer aber nicht seine eigenen Tore, sondern den Anschlusstreffer von Arda Turan in Minute 75. "Danach sind die Tschechen nervös geworden."

"Arschtritt" in der Pause

Erneut hatte die Türkei also in den Schlussminuten ein Spiel gedreht. Doch das 3:2 in Genf gegen Tschechien übertraf das 2:1 vier Tage davor gegen die Schweiz noch einmal um Welten. Niemand hätte bei zwei Toren Rückstand 15 Minuten vor Schluss noch einen Cent auf die Türken gesetzt – außer diese selbst.

Bei einem Unentschieden hätte erstmals in der EM-Geschichte nach der Gruppenphase ein Elfmeterschießen über den Aufstieg entschieden. "Viele haben nach dem 2:2 ein Elfmeterschießen erwartet, aber ich habe der Mannschaft signalisiert, noch einmal nachzusetzen", erklärte Terim. "Wir haben der Welt gezeigt, wozu wir fähig sind. Ich bin ein Mensch, der nie die Hoffnung verliert."

Das taten auch seine Spieler nicht. Nach einer schwachen ersten Hälfte übernahmen die Türken nach der Pause das Kommando. "Der Trainer hat uns in der Pause einen Arschtritt gegeben. Das war auch bitter nötig", erklärte Außenverteidiger Hamit Altintop. Der Bayern-München-Legionär hatte zu allen drei Toren die Vorarbeit geleistet – wenngleich jene zum Ausgleich durch Nihat unter großer Mithilfe von Cech gestanden war.

"Geschichte", "Heldenepos"

Hunderttausende hatten daraufhin in der Türkei auf den Straßen gefeiert. Die türkische Presse bejubelte einen der größten Triumphe ihrer Fußball-Historie. "Ein atemberaubendes Comeback. Die türkische Mannschaft hat Geschichte geschrieben", schrieb die Zeitung "Hürriyet". "Das ist wie ein Heldenepos", ergänzte die "Milliyet". "Das Selbstvertrauen ist am Höhepunkt. Diese Spieler werden sich nicht so bald besiegen lassen."

Denn nun stehen die Türken wie im Jahr 2000 im Viertelfinale – und wollen mehr. "Wir werden jeden Tag besser", versicherte Terim. "Ich habe nach dem Spiel gegen die Schweiz versprochen, dass man sich an uns erinnern wird. Und ich sage es noch einmal. Europa wird sich an uns erinnern." Zusätzlich zu den Verletzungssorgen fehlen Terim gegen Kroatien allerdings auch Keeper Volkan und Mittelfeldspieler Mehmet Aurelio wegen Sperren.

Volkan gegen Kroatien gesperrt

"Wir sind ein gutes Team. Wir können das kompensieren", meinte Terim. Für Volkan, der sich in der Nachspielzeit für einen unnötigen Rempler gegen Tschechiens Sturmtank Jan Koller die Rote Karte abgeholt hatte, wird der 35-jährige Routinier Rüstü Recber ins Tor rücken. Dazu sind die Stammspieler Emre Belözoglu, Tümer Metin und Gökhan Zan verletzt. Aber dass die Türkei das Unmögliche möglich machen kann, hat sie nicht erst einmal bewiesen.

Ratlose Tschechen

Bei den Tschechen, die das gestrige Spiel weitgehend kontrolliert und nach Treffern von Jan Koller (34.) und Jaroslav Plasil (62.) verdient 2:0 geführt hatten, herrscht bodenlose Ratlosigkeit. Man hatte sich bereits nach einem ungefährdeten Sieg in Wien gegen Kroatien spielen sehen, als Turan plötzlich der türkischen Mannschaft mit seinem Schuss von der Strafraumgrenze eine Viertelstunde vor Schluss neues Leben einhauchte. Was darauf folgte, war der kollektive Zusammenbruch der bis dahin so souveränen tschechischen Mannschaft. "Ich weiß nicht, was da passiert ist", sagte der ehemalige GAK- und Austria-Legionär Libor Sionko. "Ich kann es mir nicht erklären."

"Das dritte Tor war ein totaler Kollaps", sagte Teamchef Karel Brückner. "Das werde ich sehr lange nicht vergessen. Das ist kein schöner Abschied." Brückner hatte bereits lange vor der EURO seinen Rücktritt nach dem Turnier bekanntgegeben. Seinen Tormann nahm Brückner in Schutz: "Cech hat einen Fehler gemacht, aber ich werde ihn nicht für die Niederlage verantwortlich machen."

Auch Kapitän Tomas Ujfalusi war nach dem Spiel fassungslos: "Ich war mir 20 Minuten vor Schluss sicher, dass wir die Partie gewinnen. Unser Team ist erfahren genug, dass wir so ein Spiel zu Ende bringen. Nach dem Ausgleich müssen wir zumindest bis zum Elfmeterschießen spielen." Team-Rekordtorschütze Jan Koller, der wie Brückner seinen Abschied nach der EURO angekündigt hatte, verabschiedete sich zwar mit seinem 55. Tor im 90. Länderspiel vom Nationalteam, schien aber auch gebrochen: "Ich habe mir das Ende ganz anders vorgestellt."

Übersiedlung nach Krems

Die türkische Nationalmannschaft übersiedelt nun von der Schweiz nach Österreich. Als Quartier ist das Steigenberger Avance Hotel in Krems ausgewählt worden.

Am kommenden Freitag treffen die Türken in Wien auf Kroatien (20.45 Uhr). Trainiert wird fortan im Kremser Sepp Doll-Stadion. Ob es auch ein öffentliches Training geben wird, stand vorerst nicht fest. Möglicherweise findet ein solches bereits am Dienstagabend statt. (APA)