Rot-weiß-rote Schmink-Attacke am Westbahnhof – der deutsche Beamte lehnte dankend ab

Foto: Fischer

Der plakative Wunsch eines jungen Rumänen

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Wien – Schwarz-Rot-Gold dominierte Montagvormittag die Wiener Innenstadt. "Mal sehen, ob die sich überhaupt zeigen", witterte einer im "Podolski"-Shirt einen Sieg seiner Anhängerschaft. Nur gelegentlich begegneten den Schwarz-Rot-Güldenen österreichische Gegenstücke – wie jener Fiaker, der seinen Kutschbock mit einer rot-weiß-roten Fahne geschmückt hatte. Doch auch der führte deutsche Fans durch die City. Zentrale des Fan-Rummels: Das Bermuda-Dreieck, durch das Schlachtgesänge wie "Que será será – wir sch... auf Córdoba" schallten.

Am Stephansplatz versammelten sich rund 50 deutsche Fans, begannen leichten Fußes zu hopsen und skandierten: "Wer nicht hüpft, der ist kein Deutscher." Vorbeischlendernde Wiener grinsten einander an: "Jo eh."

Vergebliches Warten

Ein weiterer Brennpunkt: Das Hilton Plaza am Schottenring: Gemeinsames Warten auf das hier einquartierte deutsche Team. Da aber niemand wusste, wann die Elf endlich das Hotel verlässt, wurden Erinnerungsfotos geknipst.

Bis dann mittags die deutsche Dominanz gebrochen wurde und die österreichischen Tages-Schlachtenbummler am Westbahnhof eintrafen. In voller Montur – sowohl was das Outfit als auch die inneren (Promille-)Werte betraf. Die machten sich auch gleich daran, Entgegenkommende mit Schminkstiften in rot-weiß-rot umzufärben. Nur die deutschen Polizisten lehnten dankend ab. In der Innenstadt konterten österreichische Fans dann die "Wir sch... auf Córdoba"-Gesänge mit T-Shirts: "Sch... auf Frau und Kind – Hauptsach', Österreich gewinnt".

Und schon trafen sie aufeinander: Eine kleine Gruppe Halbwüchsiger aus dem rot-weiß-roten Lager erblickte am Ballhausplatz einen alleine dahinschlendernden deutschen Fan. "Schau, a Piefke! Schnalz' ma eam?" Doch der Mann wurde nicht attackiert – die Kids bildeten einen Kreis und besangen ihn: "Immer wieder, immer wie-der ..." Auch ein Anlass für Erinnerungsfotos auf deutscher Seite.

Merkzettel von der Polizei

Patriotische Unterstützung bekamen die Anhänger beiderlei Nationen vor der Fanzone von der Polizei – die verteilte Zettel mit dem Text der österreichischen respektive der deutschen Nationalhymne.

Drinnen, in der Zone, standen nachmittags auch deutsche und österreichische Fans friedlich beisammen, tranken Bier und diskutierten. Worüber? Über die Chancen von Italien. Wieso nicht über das Match am Abend? "Das wäre der Stimmung nicht zuträglich."

In Wahrheit seien die 200.000 Fans, die am Montag in der City erwartet wurden, "ein Klacks". Sagte Anja Richter, Sprecherin des Organisationskomitees. "Beim jährlichen Silvesterpfad sind 650.000 Menschen in der City auf den Beinen, und es gibt keine gröberen Probleme", erklärte sie Montagvormittag. Die Schwierigkeit dabei: Beim Silvesterpfad gibt es keine Fanzone, die beim Erreichen der Kapazitätsgrenzen geschlossen wird. Und so Unmut bei den Fans auslösen könnte, wie manche Polizisten im Vorfeld befürchteten.

Tatsächlich ein Bier

Mit einer überraschenden Aussage ließ Alan Ridley, bei der UEFA für Sponsoring und Events zuständig, aufhorchen. Er bestätigte auf Nachfrage, dass Carlsberg tatsächlich ein Bier sei und dessen Monopol in den Fanzonen als Hauptsponsor gerechtfertigt sei. Zu den Problemen mehrerer Wirte in Basel und Wien entgegnete er, dass die Mehrzahl der Gastronomen zufrieden sei und es für den wirtschaftlichen Erfolg auch auf die angebotenen Produkte ankomme.

In Wien sind von den 20 von den Gastronomen verlassenen Ständen bereits 16 wieder vergeben, sechs weitere, die bisher nicht gekündigt hatten, wurden von anderen Betreibern übernommen.

Deutschland gegen Österreich gab's aber nicht nur auf der Straße, sondern auch daheim in binationalen Familien. "Soll ich für Österreich oder Deutschland sein?" Der Zweitklässler war im "Wiglwagl". Denn er wollte weder den Unmut der deutschen Mutter noch den des österreichischen Vaters auf sich ziehen. Zumal er ohnehin tagelang darauf hinarbeiten musste, dass er das Spiel der Spiele überhaupt sehen darf. Schließlich ist am nächsten Tag Schule! Aber vielleicht ist es auch für den binationalen Familienfrieden gar nicht so schlecht, wenn das Kind aufbleiben darf. So kann sich der Vater tiefe österreichische Schlachtrufe sparen.

Das eigentliche Match der Eltern wird ohnehin schon vor dem Anpfiff ausgefochten. Schauen wir die Übertragung im ORF oder in der ARD? Derweil freut sich der Sohn diplomatisch über jedes Tor, hat er doch beide Staatsbürgerschaften und ist damit auf alle Fälle auf der Seite des Gewinners. (ebi, frei, ker, moe, rott, simo, DER STANDARD Printausgabe, 17.6.2008)