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Das Gefängnis in Kandahar, aus dem die Taliban am Freitag Hunderte Gefangene befreiten

Foto: epa
Kandahar - Nach der spektakulären Erstürmung des Gefängnisses von Kandahar durch Taliban-Kämpfer und dem Ausbruch von Hunderten von Häftlingen bereitet die Armee in Afghanistan mit NATO-Unterstützung einen Großangriff auf mutmaßliche Verstecke der Islamisten vor. NATO-Hubschrauber warfen nach Augenzeugenberichten vom Dienstag Flugblätter über mehreren Dörfern ab, um die Bewohner zur Flucht aufzufordern.

Nach Angaben des afghanischen Verteidigungsministeriums wurden hunderte Soldaten in die Region im Süden des Landes verlegt, um gegen die Aufständischen vorzugehen. Nach Angaben des Provinz-Polizeichefs Sayed Agha Saqeb halten sich mindestens 500 Taliban-Kämpfer in zwei Dörfern im Bezirk Arghandab nördlich von Kandahar verschanzt.

Zivilisten auf der Flucht

Rund 700 Familien hätten sich bereits vor einem bevorstehenden Angriff in Sicherheit gebracht, berichtete ein Polizist. Ein Reporter beobachtete, dass afghanische und NATO-Soldaten zahlreiche Kontrollposten eingerichtet hatten, um Fahrzeuge und Passanten zu überprüfen. Taliban-Kämpfer hatten am Freitagabend das Gefängnis von Kandahar angegriffen und rund tausend Gefangene befreit, darunter nach offiziellen Angaben etwa 400 Taliban.

Ein Sprecher der NATO-geführten Schutztruppe ISAF bestätige, dass internationale Einheiten in der Region "umgruppiert" würden. In der Umgebung der Provinzhauptstadt Kandahar bereiten sich Taliban-Kämpfer nach Einschätzung der afghanischen Behörden auf neue Gefechte vor.

Taliban nehmen Dörfer ein

Sie zerstörten Brücken und legten Minen, erklärte ein Polizeisprecher. Hunderte islamistische Kämpfer haben am Montag eine Reihe von Dörfern im Süden Afghanistans überrannt. Nach offiziellen Angaben besetzten rund 500 Taliban zunächst vier Ortschaften im Distrikt Arghandab. Die Regierung von Präsident Hamid Karzai und die ISAF wurden von der Offensive der Taliban offenbar überrascht. Fortgesetzte Gefechte wurden seit Montag auch aus den Provinzen Helmand und Sabul im Süden gemeldet. Dabei kamen nach Darstellung afghanischer und amerikanischer Militärs mindestens 35 Taliban ums Leben.

8.000 Tote im Jahr 2007

Anlässlich der Pariser Afghanistan-Wiederaufbau-Konferenz bekam die Karzai-Regierung vergangene Woche Milliardenhilfen zugesagt. Zugleich wurde Karzai zu einem entschlosseneren Kampf gegen Korruption und Drogenanbau aufgefordert. Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich augenscheinlich verschlechtert. 2007 war mit 8.000 Toten das blutigste Jahr seit dem Sturz der Taliban 2001.

Nach dem neuesten Bericht des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in London droht Afghanistan der Zerfall, sollten die NATO-Truppen es nicht schaffen, die Taliban niederzuringen, die zum "Heiligen Krieg" gegen die Fremden im Land und gegen die Kabuler Regierung aufgerufen haben. Auch der frühere deutsche ISAF-Stabschef General Bruno Kasdorf hatte erklärt, es bestehe "ganz konkret" die Gefahr, dass die afghanische Bevölkerung zu den Taliban überlaufe.

Königlicher Besuch

Spaniens Kronprinz Felipe ist am Dienstag überraschend zu einem Besuch der Truppen seines Landes in Afghanistan eingetroffen. Der 40 Jahre alte Thronfolger kam mit den Soldaten im spanischen Stützpunkt in Herat im Westen Afghanistans zusammen und fuhr in einem Panzerwagen durch die Stadt, wie die Regierung in Madrid mitteilte. Der Aufenthalt des Fürsten von Asturien in dem Land soll nur wenige Stunden dauern. Im Dezember 2007 hatte Felipes Vater, König Juan Carlos I., den Stützpunkt besucht. In Afghanistan sind rund 750 spanische Soldaten stationiert.

Der deutsche Bundeswehrverband drängt auf eine baldige Aufstockung des deutschen Afghanistan-Kontingents. "Die Obergrenze muss um mindestens 20 Prozent angehoben worden, also von 3500 auf 4200 Soldaten", sagte Verbandschef Oberst Bernhard Gertz der "Passauer Neuen Presse" vom Dienstag. Das neue Mandat könne nicht warten, weil die schnelle Eingreiftruppe schon im Juli mit der Arbeit beginne. Die derzeitige Beschränkung auf 3500 Mann drohe zulasten der Sicherheit zu gehen, sagte Gertz. (APA/dpa)