Praktisch überall in Europa sind die Politiker und die etablierten politischen Parteien unten durch. Und praktisch überall sind die Populisten im Aufwind, also Menschen, die auf schwierige, aber wichtige Fragen, einfache Antworten geben. Fragt sich nur, welche. Hier ist der Vergleich zwischen Deutschland und Österreich interessant. In Deutschland hat die Linkspartei den dritten Platz nach Christdemokraten und Sozialdemokraten erobert, in Österreich ist es die FPÖ und im Sonderfall Tirol die Gruppe des Links-ÖVPlers Dinkhauser.

Woran liegt das? Wie kommt es, dass in manchen Ländern das Protestpotenzial nach links geht, in anderen nach rechts? Spielen objektive Umstände die Hauptrolle, etwa der Ausländeranteil? Sind es die jeweils führenden Persönlichkeiten? Die jeweiligen Landestraditionen? Oder ist es am Ende egal, welche populistische Gruppierung dem aufgestauten Zorn der Modernisierungsverlierer eine Stimme gibt?

In einem Punkt sind sich die Beobachter einig: Die Protestparteien werden noch auf lange Zeit einen festen Platz im Parteiengefüge haben. Es gibt einfach zu viele Menschen, die sich von den traditionellen Großparteien nicht vertreten fühlen. Zu viele, die im "System" keinen Platz finden und sich vom Absturz bedroht fühlen. Sie sehen, wie ihre Jobs im Globalisierungswettbewerb verschwinden, sie sind wütend über die Riesenprofite der Konzerne und die Riesengehälter der Topmanager. Sie empfinden ihr Los als ungerecht, und meistens haben sie damit recht.

Seit dem 19.Jahrhundert war die Sozialdemokratie die Heimat der jenigen, die man früher als Arbeiterklasse bezeichnete. In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts führte die Wirtschaftskrise in Westeuropa zum Erstarken der Kommunisten wie der Faschisten. Und in der Wohlstandsepoche nach dem Zweiten Weltkrieg teilten sich die beiden Volksparteien links und rechts der Mitte jahrzehntelang das Gros des Wählerpotenzials.

Damit scheint es nun vorbei zu sein. Vor allem die Sozialdemokraten sind immer weniger imstande, ihre Klientel zu halten. Ein Jahr nach ihrer Gründung ist die Linkspartei in Deutschland bis auf fünf Prozentpunkte an die große SPD herangerückt. Und in Österreich ist es der Strache-FPÖ bereits gelungen, etwa in der Ausländerfrage bestimmenden Einfluss auf die Regierungsparteien zu nehmen.

Es scheint, dass sich in Ländern mit älterer industrieller Tradition der Protest eher links artikuliert, etwa in Deutschland und Tschechien, wo die Rechtsradikalen keine bedeutende Rolle spielen.

In Österreich, Ungarn, Polen und der Slowakei dagegen, aber auch in Italien, ist es anders, dort sind die Parteien der extremen Rechten stark. In den alten Demokratien Westeuropas ist das Protestpotenzial eher in das bestehende Parteiengefüge eingebunden. Die Grünen erlebten ihre Blüte in der Ära der Hochkonjunktur. Die schlechten Zeiten bekommen ihnen nicht.

Wie es aussieht, werden wir mit den Populisten leben müssen. Der Protest wird da sein, solange es Gründe zum Protestieren gibt. Da kann man nur hoffen, dass er mit einigem Anstand in Erscheinung tritt. Wenn schon, dann lieber Dinkhauser als Strache. (Barbara Coudenhove-Kalergi/DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2008)