Zurzeit ist in Österreich Politik, wenn man trotzdem lacht: Mit gespielter Entschlossenheit entschied das oberste Gremium der SPÖ, den regelmäßig gescheiterten Modellversuch der ÖVP ebenfalls zu erproben: die Teilung der Funktionen. Die beiden Akteure dürfen nicht erstaunt sein, wenn sie das historisch bekannte Schicksal erleiden werden.

Der neue Vorsitzende der SPÖ hat zwar die politische Geschicklichkeit des Catilina (Konsul gegen Ende der römischen Republik und nur wegen Cicero in die negativen Schlagzeilen gekommen), aber sein Naturell wird die Partei nicht mit neuem Leben erfüllen. Politische Entscheidungen liebte er noch nie, er profilierte sich eher im Unverbindlichen und lernte in Wien, Probleme auszusitzen.

Sozialisiert im Netzwerk des 23. Wiener Gemeindebezirks, beherzigte er stets den Lehrsatz des vormaligen Ministers Löschnak: "Es ist nicht wichtig, was du kannst, wichtig ist, wen du kennst." Ergo genießt der neue Vorsitzende nun den Vorteil, dass das größte Printmedium des Landes samt der kostenlosen Wiener Morgenzeitung hinter ihm stehen wird. Er wird sein politisches Selbstbild in der Tagespresse bestätigt finden, weniger in der ratlosen Partei. Seine Karriere kann sogar steil nach oben führen, ob es jedoch zum Vorteil von Partei, Politik oder gar Republik sein wird, bleibt mehr als fraglich. Das kann sogar catalinarische Fehler heraufbeschwören - Cicero hin, Cicero her.

Tragischer Antiheld

Der Hinterbliebene im Bundeskanzleramt ist hingegen der Antiheld in einer an Shakespeare gemahnenden Tragödie. Eine historische Parallele: Die Überredungskunst des englischen Königs Harald II. bewog die Angeln und Sachsen zur Schlacht gegen die Normannen bei Hastings. Da die meisten seiner Anbefohlenen aber seine Vision nicht teilten, erschien nur die halbe Streitmacht und verlor gegen Wilhelm den Eroberer.

Gusenbauer teilt dieses Schicksal mit Harald II.. Seine übersteigerte Selbstwahrnehmung verleitete ihn dazu, seinen beachtlichen persönlichen Aufstieg für einen objektiven Erfolg zu halten. So blieb eben reihenweise die Partei "daheim" - nicht nur in Tirol -, und dennoch war der Kanzler überzeugt, dass sein Sprachtalent ihm auch beim Parteivolk nützen werde und seine Vorstellung von der Wirklichkeit dem erdachten Wohl des Landes entspreche. Bürokratische Arbeit, Koordination und Kommunikation - der Pflichtenkatalog des Regierens behagte ihm dagegen ganz und gar nicht. Er verwechselte seinen kleinen Leitungsstab mit der Partei und erfreute sich daran, bei Ersterem unwidersprochen zu bleiben. Zuletzt nutzte die Ausrede, eine Koalition behindere seine Version vom Sozialismus, auch nichts mehr.

Die Krise der Partei, teilweise auch eine allgemeine politische Krise, besitzt leider einen gemeinsamen Nenner: Die politischen Akteure sind heute großteils Absolventen der Politikwissenschaft - von Gusenbauer bis Josef Cap. Sie sind keine Juristen oder Staatswissenschafter. Sie haben nie gelernt, wie Verwaltungen funktionieren, was Organisationen benötigen und wie diese als Instrumente zu gebrauchen sind. Daher verfügen sie auch über keine geeignete Fähigkeit zur Analyse - die dann eben die Meinungsforschung nachreichen muss. Das alles klingt fatal, so glücklos wie der kurze Ausflug unserer Fußballhelden in die höhere europäische Spielklasse.

Ist es umgekehrt vielleicht ein Glück, dass uns das "Imperium" EU nachhaltige Folgen unserer politischen Krise erspart? Sind wir nach den Netzwerken Catilinas, nach dem Prinzipat des Pompeius und der Koalition mit Caesar auf dem Weg zur caesarischen "Monarchie" mit Sitz in Brüssel? Für eine demokratische Republik bedeutet das nichts Gutes, und Schadenfreude ist unangebracht. Ohne dass man es tatsächlich erkennen würde, vollzieht sich die Transformation der politischen Demokratie am Beispiel einer Partei. (DER STANDARD Printausgabe, 19. Juni 2008)