Design jenseits des rechten Winkels: "Corallo" von Fernando und Humberto Campana aus pulverbeschichtetem Stahldraht.

Foto: MAK/Georg Mayer

"Pools and Pouf" (Robert Stadler)

Foto: MAK/Mayer/Kainz

Sessel aus der Serie "Experimental Edges" (Frank Gehry)

Foto: MAK/Mayer/Kainz

Tom Dixon "wurstelt" einen "Fresh Fat Easy Chair"

Foto: MAK/Mayer/Kainz

"Portrait of my Mother's Chesterfield Chair" (Gunnar Aagaard Andersen)

Foto: MAK/Mayer/Kainz
Tom Dixon trägt weiße Handschuhe. Seine Assistentin ebenfalls. Beide stehen in der Säulenhalle des Museums für angewandte Kunst. Aber den irren Hausfrauenblick beim Staubjagen hat der britische Designer nicht. Der Blick des britischen Designers ist der des Fließbandarbeiters, der gelangweilt ins schwarze Loch des Lebens schaut. Und tatsächlich: Tom Dixon steht vor einem endlos daherkommenden Band, das quietschgrün und in Makkaronistärke aus einer Apparatur strömt. Dixon nimmt die Masse, knetet sie zu dicken Würsten und drückt sie auf eine vorgefertigte Pressholzform. Er tut dies so ähnlich wie kleine Kinder, wenn sie ihre Traumschlösser aus Plastilin modellieren.

Wenn die dicke, grüne Plastiknudel zu Ende ist, hat Dixon Feierabend. Dann ist das eilig entstandene Möbel fertig: eine Version des "Fresh Fat Easy Chair", die zugleich der letzte Beitrag der Ausstellung "Formlose Möbel" im MAK ist. Darin sind weiters vertreten: die PU-Schaum-Eruption eines Gunnar Aagaard Anderson, der den Wülsten seiner Möbel den eigenen Willen beließ. Ferner polymorphe Polster. Und Aufblasmöbel, denen das In-sich-Zusammensinken, das Runzeligwerden zweite Natur zu sein scheint. In Summe zeigt das MAK den Reiz des Hingeschmierten, Ungestalten, Selbstbestimmten - aber keineswegs Absichtslosen.

Bürgerliche Wohnkultur

Denn zunächst geht es hier ja auch um bürgerliche Wohnkultur. Oder genauer: um die Zwänge des hoch- und geradlehnigen Gouvernantenmöbels, dessen stringente Rechte-Winkel-Architektur an den Körper weitergereicht wird, in die Armhaltung, die akkurat gespreizten Finger zum Tässchen Tee.

Als mit "Sacco" 1968 die bekannteste Möbelikone der "Formlosen" auftauchte, wurde so auch ein neues Sitzen angestrebt, eine Haltung, die den Flirt Richtung Liegen implizierte. Klar, dass das Thema Funktionalität bei einem Möbel wie "Sacco" in den Hintergrund treten durfte, ging es bei dem evozierten Hängen und Lümmeln doch vor allem um die Erosion bürgerlicher Steifheit. Besser unbequem lümmeln als Kreuzschmerzen vom korrekt verspannten Sitz.

Das Liegen als Hinweis auf Leistungsverweigerung ist den Loungern und Chill-out-Möbeln der heutigen Zeit fremd - das allein wäre ein Ansatz, der eine Retrospektive auf widerständiges Design, wie sie "Formlose Möbel" versucht, lohnen würde - auch wenn bei Letzterer selbst die ersatzweise Bezeichnung "ungeformt" in die Irre führt. Klar, einige wenige Ausnahmen gibt es allemal. Wenn Jerszy Seymour PU-Schaum - das Innenlebenmaterial heutiger Polstermöbel - Richtung Freiheit entlässt, wuchert das Ungestalte plötzlich wie Schimmelpilz und Angst. Und wie Robert Stadler Sitz- und Liegeelemente über Böden und in Raumecken schmiert - glasklare Referenz an den anarchischen Charme, mit dem Tafelklassler den ausgelutschten Kaugummi aufs Sperrholzmöbel drücken - ein Input, eine Daumenkuppe, und quill wie du willst.

Postulat der guten Form

Aber für die Mehrheit der Möbel, die hier zu sehen sind, kann von ungeformt keine Rede sein. Unübersehbar ist zumindest die Struktur: Rückenlehne, Sitzfläche, alles da, was zum Funktionieren qualifiziert. So bleibt in der Regel eine Oberfläche, die darf, wie sie will - und die vielfältig andeutet, was es einst zu überwinden galt: das Postulat der guten Form.

Immerhin, der Wille zur Imperfektion speist sich aus verschiedensten Quellen: Die Kunst seit den 60er-Jahren, als Joseph Beuys, Michelangelo Pistoletto und andere mit Antiformen aus Fett, Erde und Lumpen experimentierten, ist eine davon. "Das Beibehalten der Form als funktionierender Idealismus" - dieser rigorose Befreiungsschlag des US-Künstlers Robert Morris zur Enthebung des Materials aus der Herrschaft der Form wird im Möbeldesign immerhin als leiser Widerhall vernommen. Gaetano Pesces fließende Kunststoffmöbel, die Entdeckung des assoziativen Stoffbündelthemas, das Tejo Remi aus dem Umfeld von Droog Design zu einem puren Ballen Emotion umgürtet, dem auch eine politische Dimension anhaftet. Grenzen herkömmlicher Designbegriffe weichen diese Beiträge allemal auf. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/20/06/2008)