"Hereinspaziert!" heißt es bei den Wiener Festwochen erst wieder 2009. Für Luc Bondy gilt das bis 2013.

Zur Person: Luc Bondy, 1948 in Zürich geboren, ist seit 1998 Schauspieldirektor und seit 2001 Intendant der Wiener Festwochen. Er gilt aufgrund seiner überaus feinstimmigen Theaterinszenierung als begnadeter Schauspieler-Regisseur.

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Margarete Affenzeller und Ronald Pohl hat er folgende Fragen schriftlich beantwortet.

Standard: Das Motto der diesjährigen Festwochen lautete bekanntlich: "Wer werden wir gewesen sein?" Die Abwandlung müsste aktuell also lauten: Wer sind wir nun gewesen? Ist ein Theaterfestival wie die Wiener Festwochen tatsächlich ein Brennspiegel für globale Entwicklungen?

Bondy: Der Sinn der Wiener Festwochen ist ja (auch wenn das Wort "Globalisierung" paradoxerweise ein Feindbegriff und eine Feindwirklichkeit geworden ist), die verschiedenen Strömungen im Theater, in der Musik hier zu präsentieren. Wer wir nun gewesen sind, wissen wir nicht. Erinnerungsfetzen sagen uns, dass in desorientierten Zeiten Dinge entstehen, weil die Menschen ein Bedürfnis haben, den Fahrigkeiten die Stirn zu bieten, jeder auf seine Art.

Standard: Daran schlösse sich die Frage: Ist die Vielzahl kleinerer Formate aus (dem Namen nach) "exotischeren" Weltgegenden überhaupt angemessen rezipierbar? Gibt es auf Ihrer geschätzten Seite so etwas wie den Glauben an ein voraussetzungsloses Verständnis kurrenter Probleme in anderen Gesellschaften – seien es diejenigen in Südafrika oder im Baltikum oder wo immer?

Bondy: Wir verstehen nicht einmal, wer wir sind, wo wir sind, wer uns bestimmt. Die heimischen Sprachen erleben Wandlungen, die auch mit der Migration zusammenhängen. Aber eben das ist doch die große Sache mit den darstellenden Künsten, ob Musik, Aktionen, Theater in den verschiedensten Formen (sie sind der Ausdruck des "Homo ludens", wie ihn der Historiker Johan Huizinga nannte). Sie ermöglichen das Verständnis füreinander nicht nur durch die intellektuelle Analyse, sondern dank der emotionellen Wahrnehmung, Entdeckungen anderer Zeichensysteme. Es war ja der Traum von Artaud, dass man dank geheimer Zeichen, die ein eigenes System bilden, Theater erleben kann.

Standard: Ihr Intendantenvertrag ist bis 2013 verlängert worden. Wohin soll die Entwicklung gehen?

Bondy: Das Wort "Entwicklung" passt mir nicht. Meinen Sie, was ich mir ausdenken muss, damit die Wiener Festwochen die Menschen nachhaltig faszinieren können? Wenn ich es nicht mehr weiß oder nicht mehr darüber nachdenken möchte – dann gehe ich früher. Doch gedulden Sie sich ein wenig: Ich hätte da noch ein paar gute Ideen.

Standard: Wie wäre ein Rückgriff auf Wiener Theaterpotenziale denkbar? So wünschenswert und bestrickend eine Einladungspolitik ohne Scheuklappen auch ist: Welche Programmierungsidee rechtfertigt das Attribut "Wiener ..." ?

Bondy: Das Wienerischste an den Wiener Festwochen ist leider immer noch die grantige Presse. Es gibt hier aber gottlob auch eine überraschende, für Europa übrigens einmalige "Kunstfreundlichkeit" , und die sollte meiner Ansicht nach auch in Zukunft auf Internationalität beruhen. Ein Repertoire-Theater muss sich mit der großartigen österreichischen Literatur befassen. Das Festival kann natürlich Themen der Stadt aufgreifen, darf sich aber nicht als Soziologe oder Spezialist der Stadt Wien aufspielen.

Außer, Rimini Protokoll würde ein Thema behandeln wie: Hier grenzt ein paradiesisches Wohlstandsland unmittelbar an den Balkan an, der noch arm ist. Welche Spannungen ergeben sich daraus? Wie hat Österreich seine "Einschrumpfung" verkraftet? Wie konnte dieses Land – im Vergleich zu Deutschland – so viel Vergangenheitsverdrängung ertragen?

Standard: Wie würden Sie den Übergang von Marie Zimmermann auf Stefanie Carp beschreiben? Ist hier bereits eine "andere" konzeptuelle Handschrift lesbar geworden?

Bondy: Marie hatte auch einen literarischen Zugang zum Theater. Stefanie ist eine hochtalentierte, engagierte Programmgestalterin. Sie ist eindeutiger in ihren Vorlieben und ihren Abneigungen.

Standard: Erwächst aus Ihren Aufgaben als Intendant und als Regisseur Ihrer Meinung nach eine Doppelbelastung?

Bondy: Nachts passiert es mir dann auch noch, dass ich Prosa schreibe. Die Stadt wollte einen Künstler als Intendanten, und obwohl ich etwas gegen diesen Begriff habe, bin ich es wohl doch auch ein wenig. Ich inszeniere, seit ich 19 Jahre alt bin. Ich glaube, und ich bin glücklich darüber, das Festival "belastet" mich produktiv.

Standard: Man wirft Ihnen nicht zum ersten Mal "Abwesenheit" als Repräsentant vor. Wie sehen Sie für sich diese Rolle?

Bondy: "I get your message." Ich habe ab 23. April probiert, bin am 4. Juni mit den "Zofen" herausgekommen. Eine Woche vor Probenbeginn war ich nach einer schlimmen Wirbelsäulenoperation noch in der Reha. Aber trotzdem haben 7000 Zuschauer meine beiden Inszenierungen gesehen! (Es gab keine Freikarten.)

Standard: Im Gespräch vor zwei Jahren haben Sie ein Festivalzentrum in Aussicht gestellt, einen Kommunikationsort, wie ihn beispielsweise auch die Viennale hat. Bleibt das auf der To-do-Liste?

Bondy: To do and to find where – ohne eine halbe Million vom Budget abzuzwacken.

Standard: Sie wurden bei den "Zofen" das allererste Mal in Wien ausgebuht. Sind Sie gekränkt über den Treuebruch des Publikums?

Bondy: Ich bin nicht zum ersten Mal in Wien ausgebuht worden, und Sie werden mich nicht durch diese Frage zwingen, für mich Werbung zu machen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.6.2008)