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Guss Hiddink hat nach dem Viertelfinal-Erfolg seine Russen lieb.

Foto:AP/Sergey Ponomarev
Basel - Guus Hiddink ist bekannt als Fußball-Trainer, der Berge versetzen kann. Mit Gastgeber Südkorea schaffte der niederländische Trainerfuchs 2002 den sensationellen WM-Halbfinaleinzug. Mit dem noch größeren "Underdog" Australien gelang ihm vor zwei Jahren bei der WM in Deutschland der Sprung ins Achtelfinale, in dem erst ein umstrittener Elfer dem späteren Weltmeister Italien in der Nachspielzeit den Aufstieg sicherte. Und nun steht er mit Außenseiter Russland nach einem 3:1-Sieg nach Verlängerung über den Topfavoriten Niederlande erstmals in seiner Teamchef-Karriere in einem EM-Halbfinale.

Unglaubliches Engagement

"Ich bin extrem stolz auf unsere Teamleistung, wenn man bedenkt, dass nach dem schweren Spiel gegen Schweden nur zwei Tage zur Erholung geblieben waren. Es ist unglaublich, was meine Burschen in punkto Engagement geleistet haben", lauteten die ersten Worte von Hiddink nach der sensationellen Vorstellung der jungen "Sbornaja", die nach dem 1:0 über Titelverteidiger Griechenland sowie dem 2:0 über die erfahrenen Schweden nun endgültig über sich hinauswuchs, wie auch die niederländischen Medien anerkannten. So schrieb etwa "De Telegraaf" in seiner Sonntag-Ausgabe: "Hiddink wirft Oranje zu Boden! Russland übertrumpfte uns an allen Fronten."

Selbst Russlands Präsident Dmitri Medwedew war vom Offensiv-Feuerwerk der vom überragenden Spielmacher Andrej Arschawin angetriebenen Mannschaft restlos begeistert und zählte zu den ersten Gratulanten. "Das war ein Super-Spiel, eine in allen Belangen überzeugende Leistung", wurde das Staatsoberhaupt in diversen Medien zitiert. Selbst die niederländische Fußball-Legende Johan Cruyff hielt sich mit Kritik am eigenen Team eher zurück und überhäufte dafür den groß aufspielenden Gegner mit "viel Lob".

Mannschaft lernt schnell

"Es ist ein echte Freude, mit dieser Mannschaft zu arbeiten, denn sie lernt so unheimlich schnell. Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, wie schnell meine Burschen die Gesetze des internationalen Fußball annehmen und dann gleich in die Praxis umsetzen. Vor allem, weil wir nach dem Schweden-Spiel am Mittwochabend ja kaum Zeit gefunden haben, taktisch zu arbeiten, nur zehn Minuten beim Abschlusstraining im Stadion und anschließend beim Team-Meeting im Hotel. Und was mein gesamtes Team dann in der Verlängerung gemacht hat, das war einfach unglaublich. So etwas habe ich in meiner gesamten Karriere noch nie erlebt", geriet Hiddink ins Schwärmen.

Stärker in allen Punkten

"Ich will nicht in Superlative verfallen, aber wir haben das niederländische Team technisch, spielerisch, taktisch und physisch ausgespielt, das ist einfach unglaublich. Normalerweise erhält man einen psychischen Knacks, wenn man so spät den Ausgleich kassiert, aber dieses russische Team ist technisch einfach stärker als das niederländische", analysierte Hiddink. "Ich will nicht arrogant klingen, aber wir waren in allen Komponenten des Spiels besser als unser Gegner."

Aber der "Sbornaja"-Teamchef ist bekanntlich ein Perfektionist und fand deshalb auch in der Stunde seines wohl größten Triumphs drei Kritikpunkte: "Wir haben manchmal unnötige Fouls begangen, müssen uns bei Freistößen des Gegners, da waren wir zu passiv, und auch bei unserer Chancenverwertung verbessern. Denn schon bis zur Pause hätten wir aufgrund unseres taktisch guten Spiels in Führung gehen müssen, und nach dem 1:0 haben wir es verabsäumt, das Spiel vorzeitig mit einem weiteren Treffer zu entscheiden. Aber das sind nur kleine Kritikpunkte, ich bin auf alle meine Spieler sehr, sehr stolz."

Ob der Halbfinal-Gegner nun am Donnerstagabend im Ernst Happel Stadion in Wien Spanien oder Italien heißt, war Hiddink vorläufig egal. "Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt", lautete seine Anwort auf eine diesbezügliche Anfrage, was ihm denn lieber sei: Rache an den Spaniern, die Russland beim 4:1 zum EM-Auftakt phasenweise "wie eine Schülermannschaft" (O-Ton Hiddink) hatten aussehen lassen, oder ein Duell mit dem Weltmeister.

Noch erfolgshungrig

"Wir hatten schon mit dem Viertelfinaleinzug als Außenseiter viel erreicht. Und jetzt stehen wir sogar im Halbfinale", meinte Hiddink, um dann auf die weitere Planung einzugehen. "Meine Spieler werden sich jetzt einmal zwei Tage erholen, danach werden wir uns auf den nächsten Gegner konzentrieren." So erhielten Arschawin und Co. den Sonntag bis 20 Uhr frei, danach ging es zurück ins Team-Hotel in Basel, um sich gemeinsam das letzte Viertelfinal-Match Spanien - Italien im Fernsehen anzuschauen.

Hiddink betonte gleichzeitig, dass er und seine Spieler noch lang nicht satt, sondern weiterhin erfolgshungrig seien und sich keinesfalls auf ihren Lorbeeren ausruhen werden. "Ich weiß, dass bereits nach der Viertelfinal-Qualifikation unglaubliche Freude in ganz Russland geherrscht hat. Die wird jetzt natürlich noch viel größer sein. Und das gibt dem Team noch mehr Verantwortung, weil sie mit ihrer Leistung in der Heimat so viele Millionen Menschen glücklich machen können." (APA)