Das Tagebuch als Seismograf der eigenen Erschütterung beim Durchfahren der Wüste: "...reise nach..." von Angelika Kaufmann in der edition splitter.

Foto: Robert Newald

Die Sprache der Schrift ist eine körperliche im Werk der Künstlerin und Kinderbuchillustratorin Angelika Kaufmann.

Foto: Newald
Angelika Kaufmann zeigt das Tagebuch einer Fahrt durch die Wüste Jemens.
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Wien - Eine Fahrt durch die jemenitische Wüste - in der Ferne Blumen ... "In weiß und rosa. Und ich denke mir: die Wüste blüht. Wenn man dann näher kommt - ist es Plastik. Es gibt dort keine Müllabfuhr. Daher fliegen dort viele Plastiksäcke durch die Luft, die der Wind verweht und die die stacheligen Sträucher dieser Landschaft aufspießen."

Knapp drei Wochen reiste Angelika Kaufmann durch den Jemen, in einer Gruppe von zwölf Teilnehmern. In drei Jeeps fuhr man durch die Wüste. Einen Fotoapparat hatte sie nicht dabei. So begann sie, ein Tagebuch zu schreiben, zu notieren, "wo man war". Doch die unruhige Bewegung der Fahrt, der holprige Steppengrund schrieben sich selbst in ihre Aufzeichnungen ein. Formten den Körper der Schrift im Takt der Reise - was die Künstlerin schnell zu faszinieren begann. Bald wählte sie "den schlechtesten Platz in der Mitte der Rückbank mit der besten Übersicht - und den wildesten Fahrer".

Nicht die Worte und Sätze sind die eigentlichen Erzähler ihres Tagebuchs, sondern die Schlingen und Abbrüche der Schrift. Sie berichten spürbar vom unebenen Boden, den die schreibende Hand überquerte. Und vom Glück des Durchgeschütteltwerdens.

An einem ebenso stillen wie verborgenen Ort, in der kleinen Galerie der edition splitter in der Salvatorgasse im ersten Wiener Bezirk direkt bei der Fischerstiege, finden sich Angelika Kaufmanns Tagebuchaufzeichnungen derzeit ausgestellt - bis zum 30. Juni noch.

...reise nach… nennt sie die leise Schau, in der nicht die Ziele, ja nicht einmal der Jemen selbst zum Thema werden, sondern das Reisen von sich selbst erzählt.

Zeitgleich mit der Ausstellung wurde ein anderes ihrer Werke prämiert, das Kinderbuch Wenn ich einmal groß bin, sagt das Kind, in dem sie Illustrationen zu dem Text von Gerda Anger-Schmidt zeichnete - mit der Aufnahme in die "Kollektion Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis". Auch dort purzeln die Buchstaben wild und unbeherrschbar durch die Seiten, werden zu Gesichtern, Hundeschnauzen und anderem Leben.

Seit vierzig Jahren, seit 1968, illustriert Angelika Kaufmann Kinderbücher, ersinnt Bildwelten zu Texten von Mira Lobe, Friederike Mayröcker oder Elfriede Gerstl, Bücher mit Titeln wie Leb wohl, Fritz Frosch (Lobe), Sinclair Sofokles der Baby-Saurier (Mayröcker) oder Die fliegende Frieda (Gerstl). Viele ihrer Illustrationen wurden ausgezeichnet - und trotz des Drucks durch ökonomische und Zeitzwänge, die ihr die Arbeit am Kinderbuch mitunter schwermachen - "ich bin ein langsamer Mensch. Ich brauche Zeit" - mag sie diese Hälfte ihrer Kunst nicht missen.

Meditative Stille strahlen viele ihrer Textarbeiten aus, in denen Passagen aus Werken von Friederike Mayröcker zum Ausgangspunkt einer sorgsamen Transkription werden - zuletzt in Darmstadt, wo sie in einer evangelischen Kirche Mayröckers Requiem für Ernst Jandl in Zahlen übertrug, die sie auf zwölf Meter langen Bahnen aus transparentem Japanpapier pinselte, welche den Kirchenraum von seiner Apsis trennten. Eine hauchfeine Papierwand, vor der der evangelische Pastor seine Predigten las. Ein stets sich wandelndes Zusammenspiel, das sie so nicht erwartet hatte. "Schien die Sonne, konnte man die Ziffern lesen. Bei düsterem Licht glich die Oberflächenstruktur der Bahnen einer Blindenschrift. Und gab es einen Luftzug, je mehr Leute da waren, desto mehr, so begann die sonst geschlossene Papierwand auf einmal, sich zu öffnen, die Bahnen, sich zu bewegen, sich zu blähen." (Cornelia Niedermeier, DER STANDARD/Printausgabe, 23.06.2008)