Wien - Auch das vierte Viertelfinale der EURO wurde - wie schon die beiden zuvor - nicht in der regulären Spielzeit entschieden. Damit war zu rechnen. Italien gelang es als erstem Team im Turnierverlauf, Spaniens hochgelobte Wirbler über weite Strecken zu neutralisieren. Die Squadra verdichtete sich zu diesem Behufe, in zwei Fünferreihen formiert, in einem gerade einmal 30 Meter breiten Abschnitt des Spielfeldes und erstickte das spanische Kombinationsspiel durch Raumentzug.

Beide Mannschaften gingen mit großer Vorsicht zu Werke. Besonders Italien legte alle Betonung auf Ziel eins: Keinen reinkriegen. Das ist nie eine schlechte Idee, schon gar nicht gegen Spanien. Giorgio Chiellini legte in der Innenverteidigung eine Weltpartie hin. Der baumlange Mann von Juventus Turin erinnerte in seiner Unfehlbarkeit an den abwesenden Fabio Cannavaro. Er gewann jeden Zweikampf, stellte jede Lücke zu und löschte, wo die Nebenleute kleinere Schwelbrände zuließen. Das passierte noch am ehesten Gianluca Zambrotta, der schon im bisherigen Turnierverlauf ein mittleres Sicherheitsrisiko darstellte.

Ziel zwei - selbst etwas probieren - verweigerten die Weltmeister. War die Mission Balleroberung erfüllt, tat sich erst einmal gar nichts. Man blickte sich an und um. Aus. Keine Dynamik nach vorne, konsequenterweise keine Anspielstationen. Carles Puyol und Carlos Marchena kamen in all ihrer Beschränktheit so kaum einmal in Verlegenheit.

Luca Toni war eine Insel in spanischer See. Immer wieder erhob er sich über sie im Streben nach der ein oder anderen Flanke (Cassano!). Doch er war allein und kam nie richtig zu Potte. Es spricht für ihn, dass er trotzdem immer Gefährlichkeit auszustrahlen fähig war. Toni torlos, wer hätte das vor dem Turnier für möglich gehalten?

Italiens Mittelfeld war mit Daniele De Rossi, Alberto Aquilani und Simone Perrotta sehr römisch. Es wurde vervollständigt durch den immerhin laufstarken Massimo Ambrosini. Und auch hier wurde die Philosophie Roberto Donadonis, dem baldigen Ex-Mister, augenfällig. Denn Perrotta, der Mann hinter den Spitzen, entpuppte sich mitnichten als deren Backup. Als ein erster Abfangjäger war er dafür abkommandiert, Ordung im spanischen Aufbau zu hintertreiben. Andrea Pirlo fehlte schmerzlich.

Spanien zeigte größeren Willen zur Initiative. Es war viel öfter in Ballbesitz und passte noch mehr. Aber das ging meist in die Breite. Auch auf dieser Seite fehlten Tempo und Pressing. Man verlegte sich auf Weitschüsse - und das klappte drei, vier Mal auch sehr gut. Besonders David Silva, Auffälligster der Seinen, tat sich dabei hervor. David Villa und Fernando Torres lagen an sehr kurzen Leinen, allein dem Liverpooler gelang der ein oder andere Haken. Die Spanier - traditionell für Flügelspiel ohnehin nicht sehr anfällig - versuchten es zu sehr durch die Mitte. Damit spielten sie Italien in die Karten, das diese nach allen Regeln der Kunst vollständig abdichtete. Xavi Hernandez und Andrés Iniesta blieben so blass wie ihre Gegenüber.

Wer würde den ersten (und vermutlich entscheidenden) Fehler machen? Beinahe Gianluigi Buffon, als ihm ein irres Pfund von Marcos Senna aus der Umklammerung curlte. Doch der Ball tupft bloß sanft an die Stange. Iker Casillas rettete beim Versuch des Mauro Camoranesi aus kurzer Distanz und vereitelte dabei die vielleicht beste Gelegenheit des gesamten Spiels. Als dann noch ausgerechnet der unersättliche Egoist Toni, im Bestreben unbedingt dranzukommen, als verkappter Iberer auftrat, und dem aussichtsreich hinter ihm postierten Fabio Grosso einen Cross von Antonio Di Natale wegschnappte, waren letzte Zweifel beseitigt. Spanien würde in sein viertes Elferschießen an einem 22. Juni gehen. Alle bisherigen hatte es vergeigt.

Als dort Buffon gegen Daniel Güiza hielt, hätte der folgende Italiener für den Gleichstand sorgen, und die Spanier knieweich werden lassen können. Die Traumata aus 88 sieglosen Jahren in Bewerbsspielen gegen den mittelmeerischen Antipoden wären zurück in den Köpfen gewesen. Wie auch Iberiens Albträume von jenem verachteten Italien, das nie Fußball spielt, aber immer gewinnt. Vom Team mit den sieben Leben. Doch der folgende Italiener traf nicht. Er hieß Di Natale, und war seit einer vermeintlich vorgetäuschten Blessur in der Schlussphase der Partie vom Stadionrund (minus Tifosi) bei jeder seiner Ballberührungen ausgepfiffen worden. Das konnte nicht gutgehen. (Michael Robausch - derStandard.at 23.6. 2008)