Der Yamdrok Tso liegt mit seinem türkis-leuchtenden Wasser auf über 4.000 Metern Seehöhe.

Mehr Bilder von der Reise durch Tibet gibt es in der Ansichtssache.

Foto: Knut Rakus
Wir verlassen Shigatse am frühen Morgen Richtung Gyantse. Die Stadt liegt auf 3.977 Metern Seehöhe an der alten Handelsroute, die Tibet über Sikkim mit Indien verbunden hat. Diese Route war lange Zeit geschlossen. Erst wenige Monate vor unserer Abreise nach Indien wurde der Nathu La Pass für den direkten Handel zwischen China und Indien wieder freigegeben. Für Touristen bleibt er aber weiterhin tabu.

Gyantse ist eine jener Städte, die am meisten unter der Zerstörungswut zur Zeit der Chinesischen Kulturrevolution gelitten haben. Der Großteil des Klosters und der Tempel sind dabei zerstört worden. Einzig einzelne Gebäude des Palcho Klosters mit seinem riesigen Chörten (eine Art architektonische Umsetzung von Texten des Tengyur) sind einigermaßen erhalten geblieben. Erst schrittweise wird hier Wiederaufbauarbeit geleistet.

Wie auch in Shigatse ist die Zahl der hier lebenden Mönche massiv reduziert worden. Trotz aller Zerstörung ist der Chörten von Gyantse eines der beeindruckendsten Gebäude die wir je betreten haben. Auf sechs Stockwerken befinden sich über 70 kleine Kapellen und unzählige Wandgemälde. Von der hochgelegenen Terrasse hat man einen unglaublichen Blick über die Ebene und das nahe gelegene Fort.

Gyantse ist auch historisch von erheblicher Bedeutung, passierte doch hier die gewaltsame Öffnung Tibets durch die Briten. Colonel Younghusband hat mit seinem Expeditionskorps unweit von Gyantse 500 kaum bewaffnete tibetische Soldaten niedergemetzelt (so die offizielle Schreibweise), wohlgemerkt bei eigenen Verlusten von angeblich 14 britischen Soldaten. Nach der “Schlacht” wurde ein Abkommen unterzeichnet und eine Handelsstation der Briten in Gyantse eingerichtet. Somit war es mit der Abgeschiedenheit des Reichs am Dach der Welt vorbei und bald florierte der Handel mit Britisch-Indien.

Heute gibt es neben dem kleinen tibetischen Viertel ein neues, breit angelegtes chinesisches Viertel. Der Gegensatz zwischen den alten Steinbauten und den neuen Beton- und Glasklötzen könnte größer kaum sein. In Lhasa wird dieses spürbare Übergreifen der chinesischen Architektur und Kultur wohl noch präsenter werden.

Hochwasser und Kleinkram

Am nächsten Tag brechen wir wieder früh auf. Wir wollen den Höhepunkt des Tages, den Yamdrok Tso, einen See auf 4.441 Metern Seehöhe möglichst bald erreichen, denn dann scheint die Oberfläche des Sees aufgrund der Sonneneinstrahlung türkis. Langsam erklimmt unser Jeep bei dichtem Nebel die Passstraße, wir fürchten das Schlimmste, nämlich null Sicht auf den in der Ebene liegenden See. Doch kaum oben angekommen stellt sich heraus, dass es auf der anderen Seite völlig klar ist und schon liegt er vor uns - ein türkises Band Wasser inmitten einer kargen Ebene, ein Anblick wie man ihn nicht so schnell vergisst, so unwirklich wirkt er.

Auf der Passhöhe werden wir von einer freudigen Menge an Tibetern erwartet, die den üblichen auf Touristen abgestimmten Kleinkram (Ketten, Anhänger etc.) feilbieten. Doch auch deren Penetranz kann den Blick auf dieses unwirkliche Bild nicht mindern. Der Yamdrok Tso ist einer der vier heiligen Seen Tibets (der Überlieferung nach ist er eine verwandelte Göttin) und mit einer Gesamtfläche von über 600 Quadratkilometern um einiges größer als Wien. War der See früher ob seiner spirituellen Anziehungskraft Ziel unzähliger Pilger, ist er heute Standort des größten Wasserkraftwerks Tibets.

Nur schwer reißen wir uns vom Yamdrok Tso los und fahren über den Pass hinab in die Ebene von Lhasa. Die ganze Strecke über halte ich Ausschau nach dem Potala Palast am Horizont, als erstes sehe ich aber das Leuchten von Reklamen auf Wohnblocks und Handymasten, ehe diese den Blick freigeben auf das wohl höchstgelegene Hochhaus der Welt. Wir haben Lhasa erreicht, für mich wird ein Kindheitstraum war. (Knut)