Karin Lechner ist 23 und bringt Kinder auf die Welt. Für sie ist es nichts ungewöhnliches, Frauen jenseits der 30 in ihrer Schwangerschaft zu begleiten.

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"Jeder will die perfekte Geburt und das perfekte Kind. Alles muss geplant sein. Aber das geht nicht immer, schon gar nicht bei einer Geburt" - Karin Lechner über die unrealistischen Ansprüche manch werdender Mutter.

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Auf den ersten Blick kann man es nicht glauben. Karin Lechner ist erst 23 Jahre alt und hilft mitunter 30- bis 40-jährigen Frauen dabei, ihren Kindern den Eintritt in die Welt so leicht wie möglich zu machen. Auf den zweiten Blick ist klar, dass da eine verantwortungsvolle, junge aber reife Frau vor einem sitzt, die genau weiß, was sie sich zutrauen kann. Der Weg in die Freiberuflichkeit war für Lechner die Möglichkeit, dem stressigen Ablauf von Spitalsgeburten zu entkommen und ihre Vorstellungen von Geburtshilfe zu verwirklichen.

Durch Zufall zum Beruf der Hebamme

Der Entschluss Hebamme zu werden war eher vom Zufall geprägt als von langer Hand geplant. Als Lechner, ausgebildete Kindergärtnerin, bei ihrem Gynäkologen übermäßig lange im Warteraum ausharren musste, fiel ihr durch Zufall ein Folder über eine freipraktizierende Hebamme in die Hand. Schnell war klar, dass das das Richtige für sie ist. "Es war nur ein Gefühl. Aber ich wusste, dass ich mir die Arbeit als Kindergärtnerin nur für einen gewissen Zeitraum vorstellen kann. Ich wollte mehr Herausforderung und alles geben", sagt die Waldviertlerin.

Die Entscheidung war gefallen und sie bewarb sich an der Hebammenakademie in der Wiener Semmelweisklinik. "Ich war dann selbst überrascht, dass sich so viele für den Beruf der Hebamme interessieren. Es waren an die 500 Bewerberinnen", erzählt Lechner.

"Es wird sehr viel mit Angst gearbeitet"

Im Laufe des Studiums wurde ihr klar, dass sie nicht im Spital arbeiten will. "Die Arbeit dort tendiert in eine Richtung, die mir nicht passt. Die Geburt wird in eine pathologische Schiene hineingedrängt. Es wird sehr viel mit Angst gearbeitet. Man lässt den Frauen oft nicht genügend Zeit zum Gebären und setzt leichtfertig Medikamente ein", so Lechner.

Keine Chefs

Jetzt als fertige Hebamme hat sie - ungewöhnlich für ihr Alter - keine Vorgesetzten mehr. Sie arbeitet freiberuflich und ist Mitglied im Hebammenzentrum Wien im 9.Bezirk. "Ich habe die Selbstständigkeit nicht bewusst gewählt. Es ist die einzige Möglichkeit für mich, um meine beruflichen Vorstellungen verwirklichen zu können", erklärt Lechner. Ihre Aufgabe als Hebamme sei es, "dass man die Frau sehr gut kennenlernt und Vertrauen zu ihr aufbaut, damit sie sich wirklich fallen lassen kann, wenn es soweit ist. Im Spital ist es hingegen oft so, dass Frauen die Hebamme im Kreissaal zum ersten Mal sehen."

Entwicklungshilfe in Guatemala

Direkt nach der abgeschlossenen Ausbildung war Lechner für drei Monate in Guatemala um als Entwicklungshelferin Geburten durchzuführen. Eine große Herausforderung, da dort die medizinische Ausbildung und Schwangeren-Vorsorge mit der Situation in Österreich nicht zu vergleichen ist. "Ich wollte helfen, auch wenn ich noch nicht so viel Erfahrung hatte", sagt Lechner. Im Gesundheitszentrum war sie für Notfallgeburten zuständig und half die Hebammen, die meist keine Ausbildung hatten, fortzubilden.

Positive Reaktionen des Umfelds

Gestärkt durch die Erfahrungen im Ausland bietet Lechner nun im Hebammenzentrum Babymassagekurse und Schwangerengymnastik an und wächst langsam in die verantwortungsvollen Aufgaben hinein. Zusätzlich engagiert sie sich in einem Arbeitskreis, der die zunehmende Kaiserschnittrate in Österreich kritisch thematisiert.

Das Erstaunen über ihr junges Alter ist zwar da - hat aber noch nie zu negativen Reaktionen geführt. "Viele Mütter im Hebammenzentrum finden es super, dass sich jemand, der so jung ist, das traut und nicht gleich im Spital anfängt." Ansonsten gab es für Lechners Entschluss, es freiberuflich zu probieren, nur wenig Begeisterung: "Wenn man fertig ist und in die freie Praxis will, bekommt man von niemandem Unterstützung außer von den freiberuflichen Hebammen selbst."

Leben und Tod liegen nah beieinander

Mit dem schmalen Grat von Leben und Tod muss sich Lechner in ihrem Beruf auch auseinandersetzen. Sie hat schon Totgeburten während ihrer Ausbildungszeit im Spital miterlebt. "Das ist ein unbeschreibliches Ereignis. Da steckt man emotional sehr tief mit drinnen. Eigentlich sollte man in so einer Situation der Frau sehr viel Kraft geben, aber man ist selbst sehr damit beschäftigt", erzählt sie. Zum Glück gebe es die Möglichkeit diese Erlebnisse danach mit anderen Hebammen aufzuarbeiten. "Trotzdem nimmt man das auch ins Privatleben mit. Familie und enge Freunde haben es da manchmal nicht leicht", so Lechner.

Die Entscheidung für diesen Beruf bereut sie aber keine Sekunde. "Es ist eine sehr persönliche Arbeit. Man verbringt viel Zeit mit Leuten, die gerade einen sehr speziellen Lebensabschnitt erleben. Da baut man natürlich Beziehungen, manchmal sogar Freundschaften auf." Die Tatsache, dass eine Hebamme ständig abrufbereit sein muss und der Beruf dadurch sehr unberechenbar ist, stört Lechner nicht. "Man geht schon an seine Grenzen. Aber dadurch bleibt es auch aufregend." (Teresa Eder, derStandard.at, 21.7.2008)