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Raymond Verheijen hat bei seinen Fitnessübungen immer den Ball im Spiel.

Foto:REUTERS/Kim Kyung-Hoon
Wien - Teamchef Guus Hiddink ist der Architekt des russischen Fußball-Wunders bei der EURO 2008. Doch der 61-jährige Niederländer hat auch einen ganz wichtigen Helfer aus seiner Heimat in seinem Betreuerstab: Konditionstrainer Raymond Verheijen. Der "sanfte Schleifer" arbeitete mit Hiddink bereits zusammen, als dieser die Niederlande sowie Südkorea in die WM-Halbfinali 1998 bzw. 2002 führte.

"Ich habe eine Philosophie und eine Arbeitsmethode entwickelt, die besagen, dass wir Fußball spielen, um die Fitness zu steigern, anstelle von Fitness steigern, um Fußball spielen zu können", erklärt Verheijen sein Erfolgsrezept. "Die russischen Spieler haben in den drei Wochen vor der EM nur Fußball gespielt und taktische Varianten geprobt. Kurz vor Beginn des Turniers haben wir dann die Fitnesswerte überprüft und gesehen, dass sie super drauf sind."

Sein Training ist also ganz danach ausgerichtet, konditionelle Belastungen eines Spiels permanent zu simulieren. Durch das ausschließliche Üben mit dem Ball wird dabei vermieden, dass Spieler beispielsweise nach einem langen Sprint Erholungspausen brauchen. Das optimale Resultat ist dann jener komplexe Kombinationsfußball, den man von der "Sbornaja" bei der EM gesehen hat. Der ballführende Spieler kommt durch den Bewegungsfluss seiner Teamkollegen stets in den Luxus von mehreren Abspielmöglichkeiten in der Offensive, oder wie es Torjäger Roman Pawljutschenko ausdrückt: "Wir Stürmer werden permanent von einem ganzen Angriffs-Geschwader unterstützt."

Selbst nach der 1:4-EM-Auftakt-Niederlage gegen die Spanier blieben Hiddink und Verheijen deshalb ruhig. "Denn wir waren immer noch sicher, dass unsere Basisarbeit richtig war, wie ja dann auch die drei folgenden Siege über Griechenland, Schweden und die Niederlande eindrucksvoll bewiesen haben. Und angesichts dieser guten Turnier-Vorbereitung, bin ich überhaupt nicht überrascht, dass wir hier das Halbfinale erreicht haben", sagte Verheijen vor dem Wiedersehen mit Spanien am Donnerstagabend im Halbfinale im Wiener Ernst Happel Stadion.

Auffällig ist, dass die russische Mannschaft nicht nur die jüngste, sondern mit durchschnittlich knapp 73 Kilogramm auch die leichteste der EURO 2008 ist. Mit Sergej Semak (50,03 Kilometer), Konstantin Syrjanow (48,78) und Juri Schirkow (47,56) führen außerdem gleich drei Russen das UEFA-Ranking der im EM-Turnier zurückgelegten Distanzen an. Der unermüdliche Linksverteidiger Schirkow ist zudem der Spieler mit den meisten Ballkontakten (319).

Verheijen, der als Autor für das "Handbuch Fußballkondition" (deutsche Ausgabe erschienen im Onli-Verlag im Jahr 2003) verantwortlich zeichnet und Bewegungswissenschaften studiert hat, bestätigte auch, dass der "jetzt weitaus weniger statische" Stürmer Roman Pawljutschenko in der Vorbereitungszeit vier Kilo verlor, obwohl Hiddink seinen Spielern eingetrichtert hatte, immer auf die Ernährung zu achten. "Hiddink ist sehr streng, was das Essen angeht", betonte der 37-jährige Konditionstrainer und Wissenschaftler, um diese Aussage dann mit einer EM-Anekdote zu verdeutlichen.

"Zum Beispiel haben wir das Stadion nach dem Schweden-Spiel gegen 23.30 Uhr verlassen und mussten zweieinhalb Stunden von Innsbruck nach Leogang reisen. Wir kamen um zwei Uhr in der Früh an, und er verlangte von den Spielern, dass sie noch Kohlenhydrate zu sich nehmen, bevor sie ins Bett gehen, auch wenn sie nicht hungrig sein sollten. Normalerweise ist das sehr schwierig, weil jeder überglücklich war und den Sieg feierte. Und wenn man solche Emotionen hat, dann ist ein Gruppenessen nicht unbedingt das Erste, an das man denkt."

Diese Maßnahme war aber ganz wichtig im Hinblick auf das Viertelfinale gegen die Niederlande, das nach einer taktischen Glanz- und fantastischen Energieleistung mit 3:1 nach Verlängerung gewonnen wurde. "Der Hauptgrund für den Sieg gegen die Niederlande war die vorgegebene taktische Marschrichtung von Hiddink", erläuterte Verheijen. "Von Beginn an hatten wir das Spiel unter Kontrolle. Daneben spielte die Fitness eine gewichtige Rolle. Die guten Werte waren ausschlaggebend dafür, dass wir 120 Minuten lang Vollgas spielen konnten."

Von der "Mär", dass die russischen Spieler in punkto Fitness im Vorteil seien, weil ihre Saison erst im März begonnen hat und bisher nur elf Runden gespielt worden sind, hält Verheijen rein gar nichts. "Das ist für uns als Teamverantwortliche überaus enttäuschend, denn dadurch wird die Leistung der Spieler nicht entsprechend gewürdigt. Es ist egal, wann eine Saison startet oder endet. Die Frage ist, welches Team hat die starken Niederländer zuletzt dermaßen überzeugend geschlagen? Ich bin Niederländer, und sogar ich weiß es nicht." (APA)