Eigentlich hätte diese Etappe in Oberstdorf enden sollen. Und auf der Prinz-Luitpold-Hütte beginnen. Dass dem nicht so war, hat wieder einmal mit dem Schnee zu tun. Aber auch mit der Prinz-Luitpold-Hütte, beziehungsweise ihrem polyglotten Wirt.

Sonnenschein im Tal, ein türkiser Lech in seinem breiten Bett und ein lieber Besuch, der sich am Beginn des Schwarzwassertals verabschiedet. Es ist Sommer geworden, zumindest herunten. Dass das aber noch immer nichts heißt, weiß man als Kind der Ostalpen nur zu gut, für das es im April oder gar Mai erst dann die Erlaubnis für ein Eis gegeben hatte, wenn "vom Muckenkogel kein Schnee mehr herunterschaut", wie die entsprechende Regel der Mutter gelautet hatte.

Dass in der Rinne zur Bockkarscharte, dem Übergang zur Luitpold-Hütte, aber noch so viel Schnee liege, dass eine Überschreitung womöglich mit Lawinengefahr verbunden sei, wie ein Forstarbeiter gleich nach ein paar Kilometern im Tal auf meine Frage meinte, hätte ich trotz solcherart bereits kindlich geprägter Erfahrungen mit der Relativität eines Talsommers nicht erwartet. Der Forstarbeiter nannte mir einen Alternativübergang und ich ging weiter. Ganz anders dann die Auskunft von zwei Tourengehern, die mir mit geschulterten Skiern auf ihren Mountainbikes entgegen kamen: Kein Problem, vor allem nicht, wenn man weit oben, an der weniger steilen Nordseite der Rinne ginge.

Foto: Martin Prinz

So machte ich es dann auch, doch erst am nächsten Tag, bei morgendlich stabilen Schneebedingungen, nachdem ich die Nacht im Zelt ein Stück unterhalb der Schneefelder neben der noch unbewirtschafteten "Oberen Lichtalpe" verbracht hatte. Und dachte mir nach einer guten Stunde Trittarbeit durch den festen Schneehang am Sattel, dass der schwierigste Teil des Tags bewältigt wäre. Die Luitpold-Hütte in Blickweite freute ich mich auf ein Mittagessen, dem nach der Querung eines Bergrückens nur mehr knapp 500 Höhenmeter auf den Sommmerecksattel folgen sollten, um durchs Oytal nach Oberstdorf zu kommen. bei der Luitpold-Hütte sah ich dann zwar, wie steil die Hangquerung war. Der Wirt war sich aber sicher: Kein Problem, das ist in diesen Tagen schon oft gegangen worden! - Und wollte im Gegenzug noch dies und das zur Via Alpina wissen, da er die Route auch einmal gehen wolle.

Davor sollte sich der junge Mann aus Frankreich jedoch lieber mit den Zu- und Abstiegen seiner Hütte beschäftigen. Denn die Querung über die festgefrorenen Lawinenstriche der Bergflanke zum Sommerecksattel wäre im Grunde Steigeisen-Sache gewesen. Zumal der ohnedies steile Hang einen Gutteil der Strecke hindurch kaum 30 Meter unterhalb des "Steigs" (in dem es natürlich auch keine aktuellen Trittspuren gab) in eine Felswand abbrach.

Man müsste in solchen Momenten einfach rechtzeitig umdrehen. und nicht der Hoffnung trauen, dass es schon besser werden würde. Denn drei, vier Lawinenstriche weiter bleibt tatsächlich nur der Weg nach vor, da man das Zurück bereits viel zu gut kennt. Und davor nichts als Angst hat.

Dass sich die Hänge zum Sommerecksattel dann nicht nur voller Schnee zeigten, sondern auch Spuren aktueller Schnee-Abgänge aufwiesen, ist im Vergleich dazu an diesem Tag kaum mehr erwähnenswert. Ebenso wenig der lange Marsch durchs Tal hinaus nach Hinterstein. Vielmehr hingegen die Frage, ob zu einem Hüttenwirt nicht mehr dazugehört als jenes offenbar etwas romantische Aussteiger-Bild, das dann junge Leute wie die Crew im Luitpoldhaus alpine Hütten führen lässt. (Martin Prinz)