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Sind es wirklich nur deutsche Zuseher, welchen hier zugejubelt wird? - Stets mit einem skeptischen Auge betrachtet: Lukas Podolski

Foto: AP/Dunham
Vielfalt auf dem Fußballplatz: Die GastgeberInnen der Euro haben die Gelegenheit verpasst, mit der EM auch darauf aufmerksam zu machen, dass Vielfalt nicht nur auf dem Fußballfeld eine Bereicherung der europäischen Gesellschaften ist.

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In den vergangenen Wochen erlebten WienerInnen immer wieder mit, wie tausende Fans der türkischen Mannschaft die Straßen stundenlang lahm legten. Ja, manche von ihnen waren sogar live dabei, um als Schaulustige mit den türkischen Fans zu feiern. Eigentlich ein schönes Spektakel – bloß prompt wurde gefragt: Ist es nicht problematisch, dass türkische MigrantInnen und ÖsterreicherInnen mit türkischem Migrationshintergrund so ausgelassen den Sieg ihrer "Heimatmannschaft" feiern? Stichwort "doppelte Identität".

Damit wiederholte sich, was bereits beim ersten Spiel Deutschland-Polen zu beobachten war: Damals wurde über die Reaktion von Lukas Podolski nach seinen zwei Toren gegen die Mannschaft aus seinem Geburtsland diskutiert, die von manchen als zu verhalten empfunden worden war. Die Foren in derStandard.at waren voll von Beiträgen, in denen über den "mangelnden Patriotismus" von migrantischen Spielern diskutiert wurde.

Irgendwie suspekt

So absurd dies angesichts der Leistungen von Podolski ist, so symptomatisch ist es für die skeptische Stimmung, die inzwischen in immer breiteren Teilen der Bevölkerung gegenüber MigrantInnen und Menschen mit Migrationshintergrund vorherrscht: Selbst wenn sie Spitzenleistungen erbringen, bleiben sie irgendwie suspekt, wird ihr Verhalten genau unter die Lupe genommen.

Ein kleiner Einwurf hier: Es gibt genügend ÖsterreicherInnen, die zu anderen Mannschaften halten. Müssen sie dann auch die Ausbürgerung fürchten? Oder einen Eignungstest "echteR ÖsterreicherIn" machen? Aber nein, in ihren Adern fließt ja österreichisches Blut, da ist man vermeintlich über jeden Zweifel erhaben.

Teufelskreis

Damit aber beginnt ein Teufelskreis: Inzwischen spielen in fast allen europäischen Mannschaften Migranten oder Spieler mit Migrationshintergrund, ob sie nun Ümit Korkmaz oder Deco, Ivica Vastic oder David Odonkor heißen. Die Mannschaften sind damit auch ein kleines Abbild der europäischen Gesellschaften, auch wenn manche das immer noch nicht wahrhaben wollen. Diese Realitätsverweigerung aber hat schwerwiegende Folgen für jene, die als "anders" wahrgenommen werden: Sie werden ausgegrenzt und diskriminiert, ihre Potenziale bleiben ungenutzt – und obendrauf wird von ihnen abverlangt, leidenschaftlich für Österreich einzutreten, ja ihnen wird sogar nur dann die Chance auf gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zugestanden, wenn sie Beweise dafür erbringen.

Kein Wunder, wenn sie dann zur türkischen Mannschaft halten? Nein, denn vermutlich würden sie das auch noch, wenn sie auch noch so integriert sind. Ja, das hat etwas mit doppelten Identitäten zu tun oder vielmehr mit den unterschiedlichen Identitäten, die alle Menschen haben, nicht nur "die Ausländer". Bloß sieht man sie den ÖsterreicherInnen mitunter nicht so leicht an.

"Noch nicht ganz integriert"

Es ist genau diese Feststellung, die in den aktuellen Debatten über Integration völlig fehlt. Diese bewegen sich entlang der Linien "wir" und "die anderen" und es steht die Frage im Vordergrund: Was müssen "die anderen" machen, um sich zu integrieren, oder "wir", damit sich "die anderen" integrieren können. Das unausgesprochene Ziel eines solchen Konzepts ist, dass die MigrantInnen irgendwann im Zuge der Assimilierung im "wir" völlig aufgehen und danach nicht mehr auffallen. Womit wiederum verständlich wird, warum die vermeintlich anderen unter ständige Beobachtung gestellt werden: Weichen sie auch nur ein bisschen von dem ab, was man als idealtypischeN ÖsterreicherIn annimmt, sind sie halt noch nicht ganz integriert und müssen "noch einiges lernen".

Bloß was eigentlich? Und vor allem, wie sieht denn "der echte Österreicher" eigentlich aus? Kommt man einmal weg von den Klischees und sieht sich die österreichische Gesellschaft an, wird deutlich, dass sie keineswegs so einheitlich ist, wie man in den Integrationsdebatten voraussetzt. Es ist höchste Zeit, sich von diesem Konzept zu verabschieden! Integration kann nicht nach dem Motto funktionieren, "wir" geben vor und "die anderen" haben sich dem unterzuordnen.

Nicht nur "die anderen"

Vielmehr müsste man endlich anfangen, sich mit der Vielfalt der österreichischen Gesellschaft auseinanderzusetzen und MigrantInnen und Menschen mit Migrationshintergrund als Teil dieser Vielfalt wahrzunehmen. Denn ernsthafte Integrationspolitik muss innerhalb der Gesellschaft stattfinden, sie muss alle einbeziehen und sich nicht nur an "die anderen” richten, wie dies in der Integrationsstrategie des scheidenden Innenministers Günther Platter geschieht.

Schade, dass GastgeberInnen die Chance vertan haben, die Vielfalt der Länder zu thematisieren, deren Mannschaften bei der Euro um den Titel Europameister ringen. Es wäre eine schöne Gelegenheit gewesen zu zeigen, welche Bereicherung eben diese Vielfalt sein kann. (Sonja Fercher, derStandard.at, 27.6.2008)