Josef Cap, Alfred Gusenbauer und Werner Faymann zeigen sich nach dem Krisengespräch in guter Stimmung.

Foto: Standard/Fischer

"Was war das jetzt?" fragte eine irritierte Passantin, nachdem sie Sonntagmittag am Ballhausplatz in eine politische Inszenierung der etwas merkwürdigen Art geraten war. Aus dem Tor des Bundeskanzleramts traten zwei Dreier-Mannschaften hervor, die in Mikrofone sprachen, in Kameras referierten, in Blöcke diktieren und dabei häufig das Wort "Europa" fallen ließen, aber auch den Hausherrn von gegenüber, den Bundespräsidenten, ansprachen.

Was war das jetzt? Koalitionsausschuss war das – mit dem Ergebnis, dass die Koalitionskrise in die Verlängerung geht. Man hat miteinander geredet, man hat bei weitem nicht ausgeredet, man wird weiterreden. Nicht nur miteinander, sondern auch mit anderen – im ÖVP-Vorstand zum Beispiel, aber auch mit dem Staatsoberhaupt, dem damit wieder einmal die Schiedsrichterrolle zugeschrieben wird. Noch unklar ist, wann der am Sonntag begonnene Koalitionsausschuss zur Klärung der aktuellen Regierungskrise neuerlich zusammentritt. Ein Termin für diese Woche werde gerade gesucht. Das Gespräch der ÖVP mit Bundespräsident Heinz Fischer soll am Dienstag stattfinden.

Mehr als ein eher unverbindliches Bekenntnis zum Weiterreden wurde knapp zehn Stunden vor dem EM-Finale also von keiner Seite, weder SPÖ noch ÖVP, abgegeben – das Neuwahlgespenst geistert also weiter herum.

Team Rot – Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, Triple-Titel-Inhaber Werner Faymann als SPÖ-Chef, Regierungskoordinator und Infrastrukturminister sowie SPÖ-Klubchef Josef Cap – tat seine Sicht der Dinge zuerst kund.

Dieses Team war ja auch der Auslöser dafür, dass die ÖVP den Koalitionsausschuss einberief. Geklärt werden sollte, was es denn nun auf sich habe mit dem per Brief an die Kronen Zeitung verlautbarten Totalschwenk in der Europapolitik der Roten – Volksabstimmung für künftige EU-Verträge.

Kein Grund zur Aufregung, alles halb so wild, meinte Bundeskanzler Gusenbauer nach der rund dreieinhalbstündigen "Aussprache" . Man habe in einem "guten, interessanten Gespräch unterschiedliche Standpunkte ausgetauscht" und es werde "in den nächsten Tagen weitere Gespräche" geben. Das N-Wort sei nicht thematisiert worden: "Wir haben nicht von Neuwahlen gesprochen" , so Gusenbauer. "Es besteht nicht die dringende Notwendigkeit, dass sich die beiden Regierungsparteien jetzt einigen" , die Regierungsarbeit sei von den aktuellen Turbulenzen nicht berührt.

Auch SPÖ-Chef Faymann sieht keinen Grund für Neuwahlen, sondern weiter gute Chancen für "sinnvolle Kompromisse" . In der Causa prima EU-Politik scheint das schwierig, denn Gusenbauer beteuerte, dass der SPÖ-Standpunkt dazu "glasklar" sei: Die Bevölkerung müsse in die Europapolitik stärker eingebunden werden. Man habe aber genug "Selbstbewusstsein" , dass man gut kommunizieren werde, um am Ende "das Volk abstimmen zu lassen".

Von wegen kein Grund zur Aufregung, lautete dagegen die Zustandsdiagnose der ÖVP, die das sonntägliche Treffen etwas weniger idyllisch schilderte, sondern eher als Auftakt für eine Reihe von brisanten Folgeterminen.

"Dramatische Lage"

"Die Lage ist dramatisch" , hielt sich Team Schwarz – mit Wilhelm Molterer, als Vizekanzler, ÖVP-Chef und Finanzminister ebenfalls Dreifach-Funktionär, Regierungskoordinator und Umweltminister Josef Pröll sowie Klubchef Wolfgang Schüssel – weitere Schritte offen. "Das war erst das erste Gespräch" – und ein "sehr hartes" dazu, warnte Molterer und erinnerte an das bereits avisierte Gespräch mit Bundespräsident Heinz Fischer noch in dieser Woche, vermutlich schon in der ersten Hälfte: "Weitere Gespräche sind absolut notwendig." Dann werde er, so Molterer, "eine gemeinsame Entscheidung in der ÖVP treffen können" – einen Parteivorstand kann der ÖVP-Chef jederzeit einberufen.

Der Hauptvorwurf an die SPÖ lautet, dass sie mit ihrer neuen EU-Linie die "rotweißrote Linie verlassen" hat, "in der EU- und Außenpolitik immer im Konsens vorzugehen" , egal, welche Regierungskonstellation gerade herrscht. Das sei nun nach dem "wirklich schweren Fehler der SPÖ" , der auch eine "Desavouierung des Bundespräsidenten" sei, nicht mehr gesichert und "schwächt Österreichs Position" , sagte Molterer. Er verwies zudem auf weitere schwelende Probleme der Koalition: Mit der EU-Frage sei bei weitem nicht alles ausgeräumt, es gebe eine "Fülle anderer, wichtiger Themen" , etwa Pflege, Entlastung der Familien, Ethikunterricht. Darüber habe man aber aufgrund eines Termins des Kanzlers in Sachen Fußball-EM noch nicht reden können.

Grüner Neuwahlantrag

Die Opposition ist in Lauerstellung und wartet nur noch auf ein Platzen von Rot-Schwarz: Die Grünen wollen als Hilfeleistung noch im Juli einen Neuwahlantrag einbringen, kündigte Vizechefin Eva Glawischnig an. "Rien ne va plus – nichts geht mehr" , sagte FP-Generalsekretär Harald Vilimsky, er rechne mit einer "rot-schwarzen Kapitulationserklärung bis spätestens Mitte Juli" . BZÖ-Chef Peter Westenthaler sieht die Stunde des Parlaments gekommen. Er will die SPÖ einem politischen Lackmustest unterziehen und einen Antrag auf Erhöhung des Pflegegeldes einbringen – wie es die SPÖ ja auch verlangt. (red, Lisa Nimmervoll/DER STANDARD, Printausgabe, 30.6.2008)