Microsofts Betriebssystem führt eine Menge Ballast mit sich, und mit jedem Patch und jedem neuen Feature kommt mehr Gewicht hinzu. Randall Stross von der Universität San Jose sieht wie viele andere Beobachter des Redmonder Konzerns einen Ausweg nur in einem kompletten Neustart. Am deutlichsten bemerkbar seien die Defizite von Windows beim Softwaredesign, das nie für ein derart umfangreiches System geschaffen worden sei. Windows bewege sich nur wenige Zentimeter weiter, während es von Mac OS X und Linux überrundet werde, so Stross.

Neubeginn mit Windows 7?

Vista, das etwa Windows Version 12 entspricht, hat mit sechs Jahren Entwicklungszeit die längste Periode zwischen zwei Betriebssystem-Versionen in der 22jährigen Geschichte von Windows hinter sich. Eine Zeitspanne, in der Apple inzwischen drei neue Versionen von Mac OS X veröffentlicht hat. Die nächste Version von Windows - Codename "Windows 7" - soll Anfang 2010 auf den Markt kommen. Die Frage, die sich Experten nun stellen, ist, ob Microsoft mit der kommenden Version einen Neustart wagt, oder ob an dem bisherigen Code weitergearbeitet wird.

Weiter mit Vista-Architektur

In einem Brief verriet Microsoft Senior Vice President Bill Veghte, dass es im Code nur minimal Änderungen geben werde. "Unser Ansatz bei Windows 7 ist, auf derselben Architektur wie Windows Vista aufzusetzen", damit sich die Investitionen von Konsumenten und Partnern in Windows Vista auch in Windows 7 rechnen, so Veghte.

"Windows muss sich radikal ändern"

Experten halten dieses Festhalten an der Kernarchitektur allerdings für problematisch. So hatten auch Analysten von Gartner im April die Diskussion mit dem Statement angefacht, Windows breche in sich zusammen. Das Betriebssystem werde zwar nicht aufhören zu funktionieren, aber die zunehmende Komplexität verhindere Fortschritte. Windows müsse sich radikal ändern, hieß es in der Präsentation.

Weg von Philosophie der 70er Jahre

Auch innerhalb von Microsoft teilen einige Entwickler diese Einschätzung. Demnach könnten die Probleme von Windows wie Sicherheitsanfälligkeiten und System-Abstürze nur gelöst werden, wenn sich Microsoft von seiner System-Design-Philosophie löse, die seit den 1960er und 70er Jahren in Windows einfließe.

Chance mit "Singularity"?

Laut Professor Stross gebe es in Redmond nicht den Willen auf einer vollkommen neuen Grundlage aufzubauen, ausgenommen in Microsoft Forschungsabteilung. Im April veröffentlichte Microsoft die Ergebnisse des Forschungsprojekts "Singularity". Laut Stross handelte es sich dabei aber lediglich um eine akademische Abhandlung. "Singularity ist nicht das nächste Windows", wie Rich Rashid, Senior Vice President der Forschungsabteilung erklärte. "Stellen Sie es sich wie ein Konzeptauto vor."

Vorbild Apple

Für Microsoft sei es nicht zu spät, Windows 7 auf den Grundlagen von Singularity aufzubauen und damit vollkommen neu zu starten. Der Konzern solle sich ein Scheibchen von Apple abschneiden, das 2001 mit Mac OS X einen Neuanfang wagte. Das System basiert auf einem modernen Mikrokernel-Design, auf dem nur wenige, essentielle Services laufen, was das System weniger anfällig für Abstürze mache. Mac-User waren damit gezwungen ihre gesamten Anwendungen zu aktualisieren. Die Verschlankung des Systems habe sich allerdings ausgezahlt, so setzt etwa auch das iPhone auf dem Code von Mac OS X auf.

Apple musste den Mikrokernel allerdings nicht von Grund auf neu entwickeln, sondern konnten auf die Arbeit von Next Computer zurückgreifen, dem Unternehmen, das Steve Jobs in den späten 80er Jahren gegründet hatte. Die Programmierer von Next wiederum konnten auf Entwicklungen der Computer-Wissenschaftler der Carnegie-Mellon Universität zurückgreifen.

"Windows OS X"

Mit einem eigenen "Windows OS X" könnte Microsoft zudem die Leistung der Quad-Core-Prozessoren und Virtualisierungs-Software nutzen, die Apple damals nicht zur Verfügung stand. Damit könnten auch ältere Programme und Peripherie-Geräte weiterhin genutzt werden, was Usern den Umstieg erleichtern würde. Microsoft dürfe mit dem Neustart allerdings nicht zu lange warten. Avadis Tevanian, der die Entwicklungen des Mac-OS-X-Kernels bereits seit seiner Studenten-Zeit an der Carnegie-Mellon begleitet hatte, glaubt nicht so recht daran, dass Microsoft den Kurs ändere. Apple habe damals handeln müssen, da das Unternehmen bei 3 Prozent Marktanteil feststeckte und Geld verlor. (red)