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Sarkozy will, dass die EU-Staaten trotz des irischen "Neins" mit der Ratifizierung fortfahren.

Foto: EPA/Joubert
Warschau/Paris - Mit Hiobsbotschaften aus zwei großen EU-Staaten hat am Dienstag um Mitternacht die französische EU-Ratspräsidentschaft begonnen, die nach Wegen aus der Krise nach dem "Nein" der Iren zum Vertrag von Lissabon suchen soll. Der polnische Präsident Lech Kaczynski kündigte in einem am Dienstag veröffentlichten Zeitungsinterview an, das Vertragswerk nicht unterzeichnen zu wollen, da es nach dem irischen Votum "gegenstandslos" sei. Wenige Stunden zuvor hatte der deutsche Bundespräsident Horst Köhler die Ratifizierung des Vertragswerks wegen Verfassungsklagen auf Eis gelegt.

Ratifizierung hat Priorität

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon zur Priorität seiner sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft erklärt. Er wolle dafür sorgen, dass die EU-Staaten trotz des irischen "Neins" mit der Ratifizierung fortfahren, sagte Sarkozy am Montagabend in einem Fernsehinterview. Zugleich drohte er mit einem Veto gegen künftige Erweiterungsrunden, sollte der Vertrag zuvor nicht in Kraft treten.

Vertrag "gegenstandslos"

Kaczynski sagte dagegen in einem am Dienstag auf der Internetseite der Zeitung "Dziennik" veröffentlichten Interview, der Vertrag sei "gegenstandslos". Deshalb wolle er ihn nicht unterzeichnen. Es ist schwer zu sagen, wie es mit dem Vertrag von Lissabon nun weitergehe. Die Behauptung, die EU könne ohne den Reformvertrag nicht weiterexistieren, sei aber "nicht seriös". Das polnische Parlament hatte den Vertrag Anfang April nach wochenlangem Tauziehen zwischen der europaskeptischen Oppositionspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) Kaczynskis und der rechtsliberalen Regierung unter Premier Donald Tusk ratifiziert, doch hat der Präsident die Ratifizierungsurkunde bisher nicht unterzeichnet.

Köhler will nicht unterschreiben

Neben Polen wackelt die Ratifizierung auch in Tschechien wegen des europakritischen Präsidenten Vaclav Klaus. Auf Eis liegt die Ratifizierung des Vertrags auch in Deutschland, nachdem Bundespräsident Horst Köhler am Montag mitteilte, mit seiner Unterschrift ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofs abwarten zu wollen. Er folge mit seiner Entscheidung einem Ersuchen der Verfassungsrichter, so Köhler. Gegen den Vertrag hatten der CSU-Politiker Peter Gauweiler und die Oppositionspartei "Die Linke" Verfassungsklage erhoben. Das Urteil dürfte erst kommendes Jahr vorliegen.

Schwenk der SPÖ

Nach bisheriger Planung sollte der Reformvertrag am 1. Jänner 2009 in Kraft treten. 19 der 27 EU-Staaten, darunter Österreich, haben den Vertrag durch ihre Parlamente ratifiziert. Die SPÖ vollzog vorige Woche einen Schwenk in dieser Frage und kündigte an, bei künftigen EU-Vertragsänderungen eine Volksabstimmung in Österreich fordern zu wollen. Der Vertrag von Lissabon soll die vor drei Jahren bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheiterte EU-Verfassung ersetzen und die Union effizienter und demokratischer machen. Um in Kraft treten zu können, müssen ihn alle Mitgliedstaaten ratifizieren.

Zum Auftakt seiner EU-Ratspräsidentschaft empfängt Sarkozy am Dienstagnachmittag die Mitglieder der EU-Kommission im Pariser Elyseepalast. Sarkozy will vor dem Hintergrund der derzeitigen EU-Krise vor allem die Alltagssorgen der Bürger wie die hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise thematisieren. "Die Europäer befürworten Europa, aber sie verlangen jetzt Schutz gegen die Risiken der Globalisierung - und da hakt es", sagte Sarkozy. "Unsere Bürger fragen sich allmählich, ob sie auf nationaler Ebene nicht besser beschützt werden als auf europäischer."

Politische Spitzen der Mittelmeeranrainer

Zu den Schwerpunkten des französischen Ratsvorsitzes zählen ein Einwanderungspakt, der Massenlegalisierungen von Einwanderern wie in Spanien ausschließt. Sarkozy will zudem die EU-Verteidigungspolitik voranbringen und den EU-Klimapakt unter Dach und Fach bringen. Bis Ende des Jahres steht auch die Überprüfung der milliardenschweren Agrarsubventionen an. Erster Höhepunkt wird der Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs mit den politischen Spitzen der Mittelmeeranrainer am 13. Juli in Paris. (APA/AFP/dpa)