Osnabrück - Wirtschaftsforscher und Gewerkschaften haben vor einer Dramatisierung der derzeitigen Preissteigerung in der Euro-Zone gewarnt. Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfe bei der für Donnerstag erwarteten Zinsentscheidung "den Bogen nicht überspannen", sagte der Konjunkturchef des Münchner ifo-Instituts, Kai Carstensen, im Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstagsausgabe).

Carstensen bezifferte eine sinnvolle Höhe der Zinserhöhung auf 25 Basispunkte. "Deutliche Erhöhungen darüber hinaus könnten momentan kontraproduktiv sein." Dies gelte umso mehr, als Zinsanhebungen immer nur mit Verzögerung wirkten. "Wenn sie ihre Wirkung entfalten, sind wir vielleicht schon mitten im Abschwung", sagte der Ifo-Experte.

Auch der Chef des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, hielt Alarmstimmung für übertrieben. Die Inflation erhöhe aber den Druck auf die deutsche Regierung, noch 2008 Steuern zu senken, sagte er der Zeitung. "Vor allem Familien mit Kindern wird am ehesten geholfen, wenn wir schon heute Steuern und Abgaben senken", sagte Straubhaar weiter.

DGB-Vorstand Claus Matecki warnte ebenfalls vor einer Panik forderte aber gleichzeitig höhere tarifliche Löhne und Mindestlöhne. "Bereits heute geben Haushalte mit einem Nettoeinkommen bis 900 Euro drei von fünf Euro nur für Lebensmittel, Wohnen und Energie aus", sagte er. Matecki sagte zudem: "Steigende Löhne treiben die Inflation nicht in die Höhe, sondern sorgen dafür, dass Unternehmen etwas mehr von ihren kräftigen Gewinnen abgeben müssen." Der Gewerkschafter kritisierte außerdem die EZB. Sie ignoriere, dass die größten Einflussfaktoren für die Inflation "von außen kommen". Ein Drehen an der Zinsschraube helfe da nicht weiter.

Erstmals über vier Prozent

Die Inflationsrate in der Eurozone hatte im Juni erstmals die Vier-Prozent-Marke erreicht. Der bisherige Höchststand von 3,7 Prozent im Mai wurde damit deutlich übertroffen. Experten bekräftigten angesichts dieser Entwicklung ihre Erwartung, dass die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag den Leitzins erhöhen werde.

Führende Wirtschaftsverbände würden einen solchen Schritt begrüßen. Der Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, sprach im "Handelsblatt" von einem rationalen und nachvollziehbaren Signal, um die Inflationserwartungen zu stabilisieren. Auch der Präsident des Bundesverbands Groß- und Außenhandel (BGA), Anton Börner, sagte: "Die einzig richtige Reaktion auf die hohe Inflationsrate wäre eine kurzfristig kräftige Zinserhöhung." 25 Basispunkte seien noch zu wenig.

Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz sagte der "Berliner Zeitung", den allein aus der Erhöhung der Rohstoff- und Nahrungsmittelpreisen resultierenden Effekt solle die EZB zwar nicht mit einer Zinserhöhung bekämpfen, "wohl aber die immer sichtbarer werdenden Zweitrundeneffekte". Darunter wird ein starker Anstieg der Löhne in Reaktion auf den Anstieg der Verbraucherpreise verstanden. (APA/AFP/AP)