Hat es nämlich nicht, und nur wenige würden ernsthaft der Ansicht des illustresten aller Dissidenten des südostasiatischen Staates widersprechen. Anwar Ibrahim war schon vieles: radikaler islamischer Student, stellvertretender Chef der einst alles regierenden Umno-Partei, Finanzminister und Vizepremier, Gefängnisinsasse, beschuldigt der Korruption und homosexuellen Unzucht.
Jetzt ist er 60 und auf dem Sprung ins Regierungsamt. Das ganze Filzwerk von Schmiergeldzahlungen, Vetternwirtschaft, ethnischen Trennungen und polizeistaatlicher Unterdrückung wird untergehen, verspricht er. "Malaysia - truly Asia", hatte die Regierung früher weltweit auf CNN werben lassen. Es war der Ohrwurm des Palmöl-Landes.
Das langjährige Regime des Dr. Mahathir und seines Nachfolgers Abdullah Ahmad Badawi schwindet in diesen Wochen, wie es die britische Föderation von Malaya Ende der 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts tat. Man kann diese Dämmerung der Macht knapp oberhalb des Äquators als Kampf zwischen Vater und Ziehsohn sehen - Mahathir Mohamad, der Malaysia von 1981 bis 2003 mit eiserner Hand regierte, machte Anwar Ibrahim erst groß; sein Finanzminister sollte ihn einmal beerben, doch dann fühlte sich Mahathir, der Kinderarzt, verraten und ließ Anwar mit offensichtlich fingierten Anschuldigungen ins Gefängnis werfen.
Doch der Zeitenwandel in Malaysia geht über das Drama um die verletzte Eitelkeit Mahathirs hinaus. Das Land mit nicht weniger als neun Sultanen und Königen war immer schon ein Sonderfall im modernen Fernost. Reich an Öl und Erdgas, als weltgrößter Produzent von Palmöl, hat Malaysia die asiatische Finanzkrise von 1997 durchgestanden, ohne auf Kredite des Internationalen Währungsfonds zurückzugreifen. Malaysias Bodenschätze haben Prestigeprojekte finanziert wie die neue Regierungsstadt Putrajaya und das "Silicon Valley" vor den Toren von Kuala Lumpur. Vor allem aber halfen die Einnahmen, die ethnischen Spannungen im Land kleinzuhalten. Zwei Drittel der 27 Millionen Einwohner sind Malaien, ein Viertel Chinesen, nicht ganz ein Zehntel Inder. Ein bunter Mix, schön anzusehen - "truly Asia" eben. Unter der Oberfläche brodelt es.
Seit den blutigen Unruhen von 1969 gilt in Malaysia die "Neue Wirtschaftspolitik" (NEP), die muslimische Malaien fördert gegenüber der wirtschaftlich erfolgreichen chinesischen Gemeinschaft. Mittlerweile ist die NEP weder sonderlich neu, noch hat sie ihr Ziel erreicht. Seit Jahren stagniert der Anteil der von den Bumiputra - den malaiischen "Söhnen der Erde" - geführten Unternehmen bei 19 Prozent. Mehr noch: Der malaiische Mittelstand glaubt nicht mehr an die staatliche Förderung. Von Quoten und Geld, so heißt es, profitieren allein die reichen malaiischen Nepotisten. Die NEP gilt als Rezept für den Stillstand. Und mit einem Mal hat auch das Modell Malaysia ausgedient.
Anwar hat eine unmögliche, tatsächlich wahrhaft asiatische Koalition gezimmert, um in die neue Zeit zu segeln. Seine Pakatan Rakyat, das Volksbündnis, vereint die konservativ-islamische PAS, die alte sozialdemokratische und multiethnische DAP und Anwars Gerechtigkeitspartei PKR. Bei den Parlamentswahlen im März nahm das Volksbündnis der regierenden malayischen Umno-Partei die Zwei-Drittel-Mehrheit ab und fünf der 13 Bundesstaaten. Ein Schock für den Regierungschef. "Wir sind nicht in der Opposition", sagt Anwar nun. Badawi, den Premier, könne er jederzeit stürzen, behauptet er. Ein erster Misstrauensantrag scheiterte diese Woche an einem Formfehler.