Gesunde Zähne sind für viele Briten bereits zum unbezahl-baren Luxus geworden.

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An der staatlichen Versorgung mit Zahnärzten beißt sich die britische Regierung auch weiterhin die Zähne aus. Eine vor zwei Jahren durchgeführte Reform hat jetzt der Gesundheitsausschuss des Londoner Unterhauses scharf kritisiert: Noch immer ist nur rund die Hälfte der Briten in einer Zahnarztpraxis registriert, die Patienten im Rahmen des staatlichen Gesundheitswesens (NHS) behandelt. In den vergangenen zwei Jahren ging die Zahl der Behandlungen um eine Million zurück; wer einen Termin bekommt, zahlt mehr Geld, erleidet dafür aber häufig schlechtere Behandlung, so der Labour-Vorsitzende des Ausschusses. Es sei "enttäuschend", sagte Kevin Barron bei der Vorstellung des Berichts, "dass die Patienten nicht besser versorgt werden als zuvor".

Die zahnärztliche Behandlung gehört seit Jahrzehnten zu den Schwächen des nationalen Gesundheitswesens (NHS), wie sich am Gebiss vieler älterer Briten ablesen lässt. Expertenschätzungen zufolge versorgen etwa die Hälfte aller Dentisten ausschließlich Privatpatienten. Wenn einmal eine neue NHS-Praxis eröffnet wird, bilden sich rasch lange Schlangen von Behandlungswilligen.

Gerade auf dem Land aber müssen Patienten mit Zahnschmerzen häufig die Notaufnahme des Krankenhauses aufsuchen, weil im Umkreis von 100 Kilometern kein niedergelassener Arzt ihre Behandlung übernehmen mag. In der Region Grampian im Nordosten Schottlands sind weniger als 30 Prozent der Einwohner bei einem NHS-Dentisten registriert. Sie habe Platz 6836 auf der Warteliste, schrieb die Gesundheitsverwaltung kürzlich einer Patientin in Caithness (Nordschottland). Der Statistik zufolge wird die heute 47-Jährige in etwa fünf Jahren auf einem Zahnarztstuhl Platz nehmen.

Schon die ganz Kleinen lernen den Mangel kennen: 30 Prozent der Kinder unter zwölf Jahren haben keinen Zahnarzt. Untersuchungen in Schulen fördern regelmäßig schockierende Befunde zu Tage - bei der Hälfte der Kinder zwischen fünf und zehn Jahren sind die Milchzähne karieszerfressen.

Ziehen statt behandeln

Dem Unterhausbericht zufolge haben die rund 21.000 NHS-Zahnärzte aus ihrem neuen Vertrag Konsequenzen gezogen, die nicht unbedingt mit ethischen Grundsätzen vereinbar sind. Komplizierte Eingriffe wie Wurzelbehandlungen oder Kronen gingen um 45 Prozent zurück, dafür wurden erheblich mehr Zähne gezogen. Grund dürfte sein, dass die schwierigeren Behandlungen nicht mehr so gut bezahlt werden wie früher. Offenbar geht auch der Rückgang von Terminen auf die Veränderung der Bezahlung zurück. Weil Füllungen 44,60 Pfund (56 Euro) kosten, egal wie viele Zähne betroffen sind, verzögern manche Briten jetzt den Besuch beim Zahnarzt, bis sich die Behandlung lohnt.

Dass Patienten für schlechtere Behandlung mehr bezahlen sollen, hält das liberale Ausschuss-Mitglied Sandra Gidley für "einen Skandal: Die Regierung hat uns in die Steinzeit der zahnärztlichen Versorgung zurückgeworfen". (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 3.7.2008)