Okay: "Huggable Dust"

Über eine der schrägeren männlichen Stimmen derzeit verfügt Marty Anderson, Sänger der kalifornischen Rockband Dilute und seit 2005 als "Okay" selbstbestimmt unterwegs. Und selbstbetrauernd: Anderson maunzt wie ein junger Kater, der Sex gehabt hat und nun gern mehr davon hätte - doch die Chancen stehen schlecht. Herrlich die wehmütige Grandezza von Stücken wie "My", "Loveless" oder dem Titelsong. Dabei ist Andersons knarrende Stimme nur das auffälligste Gimmick, das seine Mischung aus Folk und Blues einzigartig macht. Das in Wohnzimmer-Aufnahmen entstandene Album enthält auch noch - zum Glück - all die kleinen elektronischen Kinkerlitzchen, die aus den Werken reiferer Künstler allmählich rausproduziert werden. Platte des Monats, für mein Teil. (Absolutely Kosher Records/Import)

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MySpace-Seite von Okay

Coverfoto: Absolutely Kosher Records

Kommando Sonne-nmilch: "Der Specht baut keine Häuser mehr"

Zum Wiederentdecken: Immerhin hat der inzwischen endlos verästelte Baum der deutschsprachigen Musik auch einen Zweig hervorgebracht, der seit der Tödlichen Doris keine so giftige Blüte wie das Berliner Kommando Sonne-nmilch mehr ausgetrieben hat. Vom misanthropischen Intro an schafft das 2003 entstandene Album eine Endzeitstimmung, die mehr mit dem Absurden Theater Jarrys oder Ionescos zu tun hat als mit dem herkömmlichen Rock- und Pop-Zirkus. Motive sind baumelnde Leichen, Kriegsbeginn, der zehnte September als letzter schöner Tag oder ein Science Fiction-Szenario, in dem sich die letzten Überlebenden um eine übriggebliebene "V-200" versammeln. Auf melodischen Aufbau wird gepfiffen, die Postpunk-Düsternis kommt mit wenigen Grundakkorden aus - großartig! (Sounds of Subterrania!/Hoanzl)

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Kommando Sonne-nmilch

Coverfoto: Sounds of Subterrania!

Louie Austen: "Too Good To Last"

Im aktuellen Treibhaus-Klima wäre Barschwüle zuviel des Guten - doch Louie Austen hat die Zeichen der (Jahres-)Zeit erkannt und für seine neue EP mit dem Berliner Produzenten Vredeber Albrecht alias Commercial Breakup zusammengearbeitet. Dessen Pop-Appeal verleiht den Stücken - insbesondere "If Only" und dem Titeltrack - eine leichtfüßige Note: ideal für Austens Crooner-Stimme, die wie über einem frischen Aufwind dahinsegelt. Für wen die Gleichung österreichisch + mondän = Tiroler Glasklunker samt Anhang ergibt: falsch gedacht, die Lösung heißt immer noch Louie Austen. Some things are too good to last? - Och, mit Blick auf Austens Output kann das noch eine ganze Weile so weiter gehen.

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Louie Austen

Coverfoto: L.A. Music

Electric President: "Sleep Well"

... das wäre dann wohl der ironische Titel des Monats, immerhin dreht sich das Album größtenteils um die Monster, die durch die Straßen schleichen, sich im Schrank verstecken und uns im Schlaf beobachten. Alles aber in Morr-typischer Harmonie und Freundlichkeit. Ben Cooper und Alex Kane aus Florida versetzen ihren Elektro-Pop mit abwechslungsreichen Beats und Percussions, die nicht nur jede "Retro"-Assoziation vertreiben, sondern den Sound auch sehr lebendig machen: It's like a heartbeat, only it isn't ... (Morr/Hoanzl)

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MySpace-Seite von Electric President

Coverfoto: Morr Music

Sparks: "Exotic Creatures Of The Deep"

Nicht ganz an ihr Vorgänger-Album "Hello Young Lovers" schließen die Sparks an: Jedenfalls haben sie - abgesehen von einem Stück, in dem sie Morrissey eifersüchtige Grüße bestellen - mit Rock diesmal gar nichts am Hut. Rons Piano, ein bisschen Orchester und natürlich der einzigartige Vokal-Stil Russels prägen den Sound, der sich einmal mehr als Pomp-Pop für dekadente Adelshäuser gefällt. Gewohnt großartig die Texte, die zwischen surreal ("Let the monkey drive", "She got me pregnant") und selbstverarschend ("Strange Animal", "I can't believe you would fall for all the crap in this song") pendeln. In "I've never been high" wird die Selbstreflexion sogar zum unerwartet tragischen Rückblick, quasi termingerecht: Nächstes Jahr sind die alterslosen Brüder Mael unglaubliche 40 Jahre im Geschäft! (Lil' Beethoven)

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Sparks

Coverfoto: (Lil' Beethoven)

Kava & Hans Joachim Roedelius: "The Gugging Album"

Ein einmaliges Projekt als Hommage an die Künstler des Art Brut-Centers Gugging: Zwei Vertreter unterschiedlicher Generationen der elektronischen Musik gestalteten jeweils eine CD: Krautrockpionier Roedelius und der vielseitige Wiener Produzent Kava. Roedelius' Beiträge sind streng minimalistisch gehalten, als "Gugginger Piktogramm" 1 - 6 durchnummeriert und haben den Charakter stehender Wellen. Kava wiederum hat versucht, mit unterschiedlichen Mischungen von Laptop-Beats und Streichern musikalische Porträts von Gugginger Künstlern wie August Walla oder Franz Kernbeis zu gestalten: mit hellem, lebendigem und sehr sympathischem Ergebnis. Anspieltipp: "Dance for Reisenbauer". (Fabrique/Hoanzl)

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Coverfoto: Fabrique

Sigur Rós: "Með suð í eyrum við spilum endalaust"

Mit der Single "Gobbledigook" und dem anschließenden "Inní mér syngur vitleysingur" startet das neue Album von Sigur Rós auf eine ungeahnte Art und Weise: Sommerlich gelöst, ja fast schon ausgelassen und ... schnell. Percussions, Akustikgitarre und Jónsi Birgissons alles andere als getragener Gesang prägen einen neuen, leichten Sound. Ab dem dritten Stück dann kehren die Isländer wieder zu der Mischung zurück, die ihnen ein weltweites Publikum eingespielt hat. Immerhin kann sich "Festival" noch mit seinem superbombastischen Finale zu einem weiteren Highlight aufschwingen. Letztlich sind es aber die ersten beiden Songs, die den Weg in die Zukunft weisen könnten. (EMI)

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Sigur Rós

Coverfoto: EMI

The 23s: "Bolivia"

Ultra Civilized Electronics. A Soundtrack Album. A Great Escape. Die gängigsten Worthülsen, die einem zu den Easy Listening-artigen Instrumentalsounds von "Bolivia" so einfallen könnten, haben die 23s aus Düsseldorf - ein Seitenprojekt von Antonelli - gleich selbst aufs Cover gesetzt. Das ganze Album läuft unendlich entspannt durch - auch wenn der erste Track den bissigen Titel "Sweatshirts + Sweatshops" trägt. Sollte es sich dabei also um einen Akt von Subversion handeln, dann läuft die auf einer ganz, ganz unterschwelligen Ebene ab. - Ah ja: Subliminal. Steht auch schon auf dem Cover. (Karaoke Kalk/Hoanzl)

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Karaoke Kalk

Coverfoto: Karaoke Kalk

Inina Gap: "The End of Red"

Einen ganz gehörigen Soundwechsel haben die Kärntner seit ihrem ausgezeichneten 2005er Album "Software Society" vollzogen. Das Line-up wurde um zwei Frauen erweitert, und dass Johanna Tham anstelle Ludwig Heilis und seines Vocoders den Hauptpart des Gesangs übernommen hat, ist nur die auffälligste Änderung. Schon zuvor beließen es Inina Gap nicht bei Electronic Beats allein - was auf "Software Society" nur in Spurenelementen vorhanden war, tritt nun weit stärker in den Vordergrund und ergibt einen sehr jazzigen Fusionssound. Die Keyboard-Einsätze sind in der Regel um einiges spannender als die stellenweise arg plätschernde Gitarre - am interessantesten bleiben Inina Gap dann, wenn sie Mut zu Ausgefallenerem ("The World", "Robolord") zeigen. Im Zweifelsfall aber dann doch eher "Software Society" nachkaufen. (Automat)

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Inina Gap

Coverfoto: Automat

Rodgau Monotones: "Ein Leben für Lärm"

Für mich sind Prince und Justin Timberlake der Fruchtzwerg und das kleine Steak ist ein schöner Reim. Mit dem dazugehörigen Album beschenken sich die Rodgau Monotones zu ihrem 30-jährigen Geburtstag, hart an der Urgestein-Grenze, quasi selbst. Und sind sie um die Hüften auch etwas breiter und die Haarkränze etwas schmäler geworden, rumpelrocken die Hessen doch in geübter Schamlosigkeit weiter. So einiges - schauerliche Gitarren-Soli oder rosenstolzige Balladenattacken - mag ziemlich jenseitig sein, aber sie haben Spaß daran, und irgendwie ist das ansteckend: Du sagst "Rock ist tot" und du hättest Beweise - doch deine Beweise sind mir zu leise! (Musiversum/Hoanzl)

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Rodgau Monotones

Coverfoto: Musiversum