Fast ein Jahr haben Angeklagte, Juristen und Beobachter im Großen Schwurgerichtssaal miteinander verbracht. Die Dynamik war groß, die Stimmung hat sich massiv verändert: von eiskalt bis – manchmal – familiär.

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Am 16. Juli 2007 bei 31 Grad Celsius hat im Großen Schwurgerichtssaal alles begonnen. Spätestens beim Betreten des Saales, wo um 9 Uhr 15 die Hauptverhandlung "gegen Helmut Elsner und andere" begann, musste den neun Angeklagten (Hermann Gerharter kam später dazu) klar sein, dass es nun wirklich ernst wird. Entlang dem riesigen Saal bewachten bewaffnete Justizwachebeamte in voller Montur, die Plastikschilder vor sich haltend, die Anwesenden. Von einer Stimmung im bis zum letzten Stehplatz gefüllten größ-ten Verhandlungssaal des "Wiener Landls" zu sprechen wäre falsch: Es gab zwei.

Stimmung des Volkes

Bei den Zuschauern, unter ihnen langjährige Bank- und ÖGB-Mitarbeiter, herrschte eine abgemilderte Form von Festzeltstimmung. Unverhohlen tat man seine Meinung über Helmut Elsner und die anderen Angeklagten kund, erklärte, wie wenig von "denen da oben" (gemeint: die vorn auf den Anklagebänken in Ost- und Westflügel) zu halten sei. Mittendrin, immer in Blickkontakt mit ihrem Mann: Ruth Elsner, die kaum eine Verhandlung versäumt hat. Oft neben ihr: Elsners Tochter, deren Mutter und seine ältere Schwester.

Ganz anders war zu Prozessbeginn die Stimmung unter den Angeklagten. Mit versteinerten Mienen betraten Elsner und seine einstigen Vertrauten den Raum – wie Fremde, die ein unglückliches Missverständnis zusammengeführt hatte. Im Ostflügel (Elsner, ein Wachebeamter, Wolfgang Flöttl und der ausnahmslos kreuzunglücklich dreinschauende Elsner-Nachfolger, Johann Zwettler) herrschte bis zum Urteilstag eisiges Schweigen. In den ersten Wochen grüßten einander Elsner und Co nicht einmal; es war, als hätten die Banker und ihr glückloser Investor einander nie zuvor gesehen.

Worte wurden durch Kopfschütteln ersetzt: Sagte Flöttl etwas, schüttelte Elsner, und umgekehrt. Nur einmal durchbrach Flöttl das bilaterale Ignorieren, schaute Elsner an und korrigierte eine seiner Darstellungen: "So kannst du das doch nicht sagen."

Die Aufweichung der stählernen Atmosphäre begann im Westflügel. Die Ex-Vorstände Christian Büttner, Hubert Kreuch und Josef Schwarzecker sowie Buchprüfer Robert Reiter formierten sich ob der ihnen gemeinsamen Ansicht, wenig gewusst und nichts Schlimmes getan zu haben, zu einer Schicksalsgemeinschaft. Nur Peter Nakowitz, als Generalsekretär "rechte Hand" Elsners, nahmen sie nicht auf. Und Günter Weninger, Ex-Aufsichtsratspräsident, ließ sich nicht aufnehmen. Der einzige Angeklagte, der einen Pflichtverteidiger hatte, saß vom ersten bis zum letzten Tag vornübergebeugt auf der Anklagebank, meist schweigend, immer traurig.

Und doch, die Stimmung veränderte sich. Verhandlungstage vergingen, Zeugen kamen und gingen, Sachverständige wurden mit Fragen gegrillt, ein Zwischenurteil ("Plastiksackerlkredit" ) wurde gefällt, die Kiebitze blieben aus. An manchen Tagen waren nur noch Verwandte (wie Flöttls Schwester), Ehefrauen der Angeklagten (immer da: Reiters Frau, die ihr eigenes Protokoll mitschrieb) und ein paar Journalisten da. Man war unter sich, rückte zusammen, die Atmosphäre ähnelte der einer Schulklasse.

"Stockholm-Syndrom"

Da wurde getuschelt im Westflügel, gescherzt unter den Anwälten, da übergab die Richterin Mottenstreifen an Elsner ("Motten überall" , klagt er), da organisierte der Staatsanwalt Kaffee, vermischten sich in den Pausen West- und Ostflügel, in der Kantine Juristen und Journalisten. Da fragte Elsner (wenn er nicht gerade seinen Anwalt zu sprechen verlangte, der ihn aber stets kurz warten ließ) Journalisten nach der neuesten Burgtheater-Produktion, da gab Flöttl Privates preis (etwa, dass er gern Politiker geworden wäre), Verteidiger erteilten Journalisten prozessuale Auskünfte. Kurzkommentar eines Anwalts zum temporären Zusammenwachsen zweier Gegenseiten: "Stockholm-Syndrom" (davon spricht man, wenn Geiseln Sympathien für die Geiselnehmer entwickeln).

Wie schnell die Stimmung kippen kann, wie blank die Nerven gegen Prozessende schon lagen, zeigte der 99.Verhandlungstag. Der fand ausnahmsweise im Schiele-Saal statt; es war heiß, stickig und eng. Zweimal platzte der ansonsten engelsgeduldigen Richterin Claudia Bandion-Ortner beinah der Kragen. Einmal nach einer flapsigen Antwort Elsners ("Ich bin ja kein Kalender" ); einmal, als Zuhörerin Ruth Elsner ihr Missfallen offen kundtat. Bandion-Ortners Stehsatz in Fällen wie diesen: "So geht es nicht. Ich kann Sie auch hinausschicken." Wäre jemand nur in der Pause im Schiele-Saal gewesen, er hätte gedacht, in der falschen Veranstaltung zu sein. Während Staatsanwalt Georg Krakow Kaffee für die Richter servierte, saß Angeklagter Büttner auf einem Tisch mitten im Raum, betrachtete das Wappen an der Wand, um festzustellen, dass "der Bundesadler nicht genau in der Mitte hängt". Ästhetisches, das Krakow gekonnt ins juristisch Relevante zurückführte: "Das ist aber kein Nichtigkeitsgrund." (Renate Graber, DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.7.2008)