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CDU-Politiker Lothar Späth

Foto: REUTERS/Tobias Schwarz

Wenn PolitikerInnen zu PhilosophInnen werden schreiben sie manchmal ganze Bücher über alternative Gesellschaftsentwürfe, die vom Anspruch her lange nicht mit akademischen Standards mithalten können – aber dennoch populärer sind und mehr gelesen werden. Wenn WissenschafterInnen die Ideen von PolitikerInnen untersuchen kommen sie meist zu Ergebnissen, die den PolitikerInnen nicht unbedingt recht sind ...

 

Politik und Wissenschaft

Mit der Sprache von Politikern ist das so eine Sache. Sie drücken sich lieber ungenau und allgemein aus, um im Falle des Falles für frühere Aussagen nicht zu einem späteren Zeitpunkt bestraft zu werden. Doch sollte dies eher als notgedrungene Maßnahme in einer nicht zuletzt stark durch die Medien beeinflussten Repräsentativdemokratie betrachtet werden. Allen Politikern puren Opportunismus vorzuwerfen wäre ungerecht. Und tatsächlich haben auch Politiker Visionen und Ideen und verfassen für diese hin und wieder ganze Bücher, um ihre Ideen einem breiten Publikum näher zu bringen. Solchen Visionen wie etwa der "neokonservativen Bürgergesellschaft" oder des "zivilgesellschaftlichen Republikanismus", die oft aus Ideen der denkenden Zunft der PhilosophInnen und WissenschafterInnen entstammen oder sich zumindest an sie anlehnen, widmet sich die Diplomarbeit von Erich Gamsjäger und untersucht diese auf Herz und Nieren.

Mit der Sprache von AkademikerInnen ist das ebenfalls so eine Sache. Besonders die deutschsprachige Sozialwissenschaft zeichnet sich in den meisten Fällen durch eine übertrieben komplizierte, über alle Maße mit unnötigen Fremdwörtern gespickte und damit sehr schwer zugängliche Sprache aus. Auch die vorliegende Diplomarbeit macht hier keine Ausnahme. Ob das an der Furcht der WissenschafterInnen liegt, man könne als zu unwissenschaftlich abgestempelt werden? Vielleicht haben viele diese Befürchtung schon tief verinnerlicht, nötig jedenfalls haben sie es nicht.

Erich Gamsjäger studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg und bietet seine Diplomarbeit seither bei zahlreichen Hausarbeiten-Börsen im Internet zum kostenpflichtigen Download um rund fünfundsiebzig Euro an, um sein Wissen für die Nachwelt zu erhalten – bei textfeld glücklicherweise auch kostenlos, wofür ihm die Nachwelt sicher dankbar sein wird.

Entwürfe einer Bürgergesellschaft

Gamsjäger analysiert die Ideen Andreas Khols (ÖVP), Alois Glücks (CSU) und Lothar Späths (CDU). Der Entwurf Andreas Khols ist überraschend detailliert. Grundsätzlich plädiert er für eine Entlastung des Staates, indem wesentliche soziale Funktionen an Vereine oder private Organisationen übertragen würden, in welchen sich durch Familie und Schule geprägte freie BürgerInnen ehrenamtlich für ihre Interessen und im Sinne der Gesellschaft einsetzen würden. Der Staat behielte Kontrolle über das Vereinsgesetz und somit über indirekt über diese bürgergesellschaftlichen Institutionen. Khol will seinen Entwurf aber nicht als Utopie verstanden wissen, sondern als Bestärkung einer Gesellschaftsform, die es laut einer sozialwissenschaftlichen Studie ohnehin bereits gäbe.

Dass Andreas Khol bei seinen Ausführungen Werte wie Glauben (an Religion, Nation bzw. Volk oder Gemeinschaft) hochhält, andere wie Vernunft und damit den Einfluss der Intellektuellen einer Gesellschaft aber gering schätzt, lässt Gamsjäger zur Schlussfolgerung kommen, dass Khols Entwurf dem Konservatismus sehr nahe sei. Politische Neuerungen der Bürgergesellschaft wie eine neoliberale Wirtschaftspolitik, Kürzungen der Sozialleistungen des Staates, Privatisierungen und das Abschieben von Arbeitskräften wie Frauen, Alten, Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen in Graubereiche wie das Ehrenamt bestätigen diese Einordnung Gamsjägers und werden von ihm als neokonservative Kennzeichen des Bürgergesellschaftsentwurfs Khols bezeichnet bzw. als "neokonservativer Gesellschaftsentwurf".

Zivilgesellschaftlicher Republikanismus

Merkmale des zivilgesellschaftlichen Republikanismus stellte Gamsjäger an den besprochenen Bürgergesellschaftsentwürfen hingegen nicht fest. Andreas Khol etwa lehnt einen Bürger mit kritischem Bewusstsein, wie ihn der französische Philosoph Claude Lefort zum Erhalt der Demokratie fordert, ab. Auch verlässt sich sein Entwurf zu sehr auf eine Form der Ideologie, die Lefort als kennzeichnend für totalitäre Systeme bezeichnet. Gamsjäger stellt fest, dass die Bürgergesellschaft einen unterwürfigen, an eine Art "Zivilreligion" glaubenden Bürger formen will, der höhere Regeln nicht hinterfragt, sondern brav befolgt und aus eigenem Interesse heraus wesentliche soziale Funktionen des Staats ehrenamtlich leistet. Aus der Sicht des zivilgesellschaftlichen Republikanismus kritisiert Gamsjäger daher die von ihm besprochenen Bürgergesellschaftsentwürfe.

Kommen wir aber zurück zu den PolitikerInnen und ihrem Wunsch, PhilosophInnen zu sein. Wie Erich Gamsjäger feststellt, ist es mit den utopischen Visionen der PolitikerInnen nicht weit her. Beim Lesen seiner Diplomarbeit wird klar, dass selbst der Begriff "Utopie" weit hergeholt wäre und dass Andreas Khols, Alois Glücks und Lothar Späts Entwürfe viel eher als technokratische Visionen zu bezeichnen wären. Zu technisch, zu politisch, zu oberflächlich und zu meinungsmachermäßig (oder auch einer gemachten Meinung folgend) scheinen ihre Entwürfe zu sein – auch wenn Gamsjäger selbst nicht mit dieser Deutlichkeit darüber urteilt.

Die Diplomarbeit "Neokonservative Bürgergesellschaft und Zivilgesellschaftlicher Republikanismus" von Erich Gamsjäger ist im Volltext nachzulesen.