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STANDARD: Die EZB hat am Donnerstag die Zinsen um 0,25 Prozent erhöht. Wie wirkt sich das auf die italienische Wirtschaft aus?

Boeri: Die Zinserhöhung lag in der Luft und war keine echte Überraschung. Sie wird auch nicht die letzte sein, wie die EZB wissen ließ. Sie ist zweifellos inflationsdämpfend. Für Italien hat jegliche Leitzinserhöhung einen besonderen Effekt: Bei Gesamtschulden des Staates von über 1500 Milliarden Euro belastet jeder Punkt den Schuldendienst von derzeit knapp 100 Milliarden Euro zusätzlich. Um die Staatsfinanzen zu sanieren, müsste die Regierung wesentlich stärkere Ausgabenschnitte machen, als vorgesehen sind.

STANDARD: Wie bewerten Sie die dreijährige Finanzplanung der Regierung?

Boeri: Das Timing ist positiv. Erstmals ist der Haushaltsplan bereits vor den Sommerferien bekannt geworden. Inhaltlich ist die Finanzplanung enttäuschend. Die ohnehin hohe Steuerbelastung wird bis 2012 weiter zunehmen. Erst ab 2013 sind mögliche Steuerverringerungen in Sicht. Der Dreijahresplan der Regierung konzentriert sich vor allem auf Korrekturen der Einnahmenseite und vernachlässigt die dringend notwendigen Kürzungen der Staatsausgaben.

STANDARD: Die Regierung hat mit der neuen Gewinnsteuer für Erdölfirmen, der sogenannten Robin-Hood-Steuer, breite Zustimmung im Volk gefunden. Andere Länder überdenken ebenfalls, diese Steuer einzuführen. Was halten Sie davon?

Boeri: Für mich ist die Robin-Hood- Tax eine rein populistische Maßnahme, die sich früher oder später auf den Endverbraucherpreis der Energieprodukte auswirken wird. Was in Italien die Energierechnung belastet, ist vor allem der Mangel an freiem Wettbewerb. Benzin müsste auch in Supermärkten vertrieben werden. Man müsste auf dieser Seite agieren, um die Preise zu senken. Durch die Gewinnsteuer ist vor allem der halbstaatliche Erdölmulti Eni betroffen, der vor dem Hintergrund erhöhter Steuern auch seine Dividenden senken wird. Insofern wirkt sich die Steuer nicht nur auf den Endverbraucherpreis, sondern auch auf die staatlichen Einnahmen aus. Auch Zentralbank-Chef Mario Draghi hat die Robin-Hood-Tax kritisiert.

STANDARD: Wirtschaftsminister Tremonti will in der EU auch einen Antispekulationsplan präsentieren. Die EU-Wirtschaftspolitik sei zu konziliant gegenüber Spekulanten. Im Fokus stehen dabei nicht nur die Rohölspekulationen, sondern auch die US-Ratingagenturen, die bei ihrer Bewertungsaktivität keinerlei Kontrolle unterlägen. Was sagen Sie dazu?

Boeri: Die Erhöhung des Erdölpreises ist nicht so sehr durch Finanzspekulationen als vielmehr durch die wesentlich erhöhte Nachfrage Chinas und anderer Emerging Countries bedingt. Die Nachfrage wird in Zukunft noch weiter wachsen. Tremonti spricht von einer allgemeinen Krise in Italien. Die Krise konzentriert sich aber vorrangig auf den Verbrauch. Dieser müsste durch gezielte einkommens- und soziopolitische Maßnahmen angekurbelt werden. Schließlich ist Italien jenes Land der EU mit der geringsten Erwerbstätigkeit der Frauen. (Thesy Kness-Bastaroli, DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.7.2008)