Die vierte Ausgabe der "unORTnung" fand auf der Wiener Copa Cagrana statt: Kunst im öffentlichen Freizeit- und Vergnügungsraum der Donauplatte
Wer vergangenes Wochenende die Donau am Radweg bei der Wiener Reichsbrücke überquerte, wurde noch auf der Leopoldstädter Seite von den Stimmen Wolfgang Beers und Adi Hirschals empfangen. Begleitet von Berner Würstel und Pommes konnte man sich dort der "fantastischen Partylandschaft" des 14. Promenadenfestes hingeben.
Etwas irritiert aber schlussendlich doch auf der gegenüberliegenden Promenade der Copa Cagrana angelangt, wurde man ebenfalls von Stimmen empfangen. Adrien Tirtiaux, Christian Eisenberger und andere KünstlerInnen zählten so lange lautstark "Neun, acht, sieben..." in unterschiedlichen Sprachen bis das offensichtlich angekündigte Event endlich stattfand: Zehn Sekunden Stille, also doch nichts. Die Soundinstallation "Countdown" des KünstlerInnenduos Johanna Tinzl und Stefan Flunger lockte schon am Radweg zur vierten Ausgabe der Ausstellungsserie unORTnung auf "Europas eizigartigem Strand inmitten einer Millionenstadt". Der Trichterlautsprecher aus Blech, aus dem die unterschiedlichen Stimmen tönten, ähnelte dem Dachkonstrukt der ehemaligen Bierinsel "Mardi Gras", in dem er auch installiert war.
Die von Veronika Barnas und Andrea Maria Krenn initiierte Ausstellungsreihe adaptiert leerstehende Räumlichkeiten in Wien und lädt junge Kunstschaffende ein, vor Ort Projekte zu entwickeln, die den jeweiligen Raum künstlerisch besetzen. Dabei finanziert sich die unORTnung über marginale Förderungen vom jeweiligen Bezirk und einer noch marginaleren Vereinsförderung, wie die beiden Initiatorinnen in einem Gespräch feststellten. Unterstütz werden sie aber tatkräftig von den KünstlerInnen und den BesitzerInnen des jeweiligen temporären Kunstraums, wie auch bei ihrer vierten Ausstellung in Kagran.
Nothing left to lose ...
Immer noch begleitet von Tinzl/Flungers zeitlich definierter Soundchoreografie mussten BesucherInnen im Eingangsbereich des "Mardi Gras" den "mobile forest" von Cecilia Divizia und Aki Namba einfach zur Seite schieben, um ins Innere des Café-Bar-Disko-Hybrids zu gelangen. Drinnen swingte Bary Manilows "Copacabana" aus den Lautsprechern einer Videoinstallation mit dem ambivalenten Untertitel "freedom's just another word for nothing left to lose". Visuell untermalt wurde der Song von den tanzenden KünstlerInnen Christiane Reiter und Daniel Zaman, sowie soundmäßig begleitet von plätscherndem Wasser. Nicht die gegenüberliegende Neue Donau machte dieses stetige Geräusch, sondern eine architektonisch aufwändige Installation aus Alltagsgegenständen wie Wäschekörbe, Plastikflaschen, Holzleisten - Strandgut, wenn man so will. Der "Rio Granada" von Paul Horn, der an "Der Lauf der Dinge" von Fischli & Weiss erinnerte, bahnte sich seinen eigenen "Lauf des Wassers" von der oberen Etage, die Treppen hinunter bis vor das Beisel, um sich dort langsam wieder zurück in die Donau zu verflüchtigen.
Weniger mit dem natürlichen Grün und dem Blau als Farb-Sinnbilder für das Naherholungszentrum am so genannten Entlastungsgerinne, sondern mit der Imitation natürlicher Welten durch künstliches Dekor beschäftigte sich die Arbeit "ever-green": Offensichtlich im Lokal zur Zeit seiner Blüte als Behübschung gedachte Gestecke aus Plastikblumen wurden von Christiane Spatt mit Ausschnitten von Postkarten ferner Länder bestückt und so arrangiert, dass der duftende Innenteil der Kunstblumen - pikanterweise in der Nähe der Toilette - eine Brise Meeres-, Berg- oder einfach Freizeitluft erahnen ließ.
Mit den menschlichen Sehnsüchten nach Ferne, nach Urlaub und Erholung, nach etwas Besonderem spielte auch Silvia Ederers Ready-Made "Die eiserne Reserve" im Obergeschoss des Beisels. In einem Abstellraum gleich beim Treppenaufgang, den man nur erreichen konnte, wenn man den "Rio Granada" überquerte, war eine geöffneter Tresor zu sehen. 250 Euro hätte die Öffnung gekostet, wenn der Geschäftsführer des professionellen Sicherheitsservices nicht etwas für Kunst im Kontext der Copa Cagrana übrig gehabt und das stählerne Gebilde kostenlos geöffnet hätte. Im Inneren des Tresors, der Traum aller Badegäste: zwar keine goldenen, aber zumindest gelbe Flip Flops.
... in dunklen Ecken
Das Konzept der vierten unORTnung im Spannungsfeld zwischen der bunten Vergnügungsinsel und der viel diskutierten Urbanität der Donaucity ließ sich auch auf die Menschen im Umfeld der Copa Cagrana übertragen. Das soziale Gefüge der Badegäste, die sich in den thematischen Freizeitlandschaften gerne auch einmal näher kommen, wurde in einer dunklen Ecke des Obergeschossen von Daniela Pesendorfer in Form der Videoinstallation "Begegnungsarten" aufgegriffen. Auf der großzügigen Terrasse des "Mardi Gras" hingegen konnten sich je zwei AusstellungsbesucherInnen in den Schaukeln der "Wellness-Installation" von Michael Bienert und Arne Langleite gemeinsam eine Himmelsprojektion vor der Kulisse der Donaucity ansehen und ebenfalls - stimuliert durch diese gemeinsame Vision - näher kommen.
In bezug auf dieselbe Kulisse fragte Marusa Sagadin mehrdeutig "Wo ist unser Niveau Herr Perrault?" und spielte mit ihrer Sound-, Text- und Architekturinstallation auf die überdimensionierten Pläne des Architekten Dominique Perrault an. In einem Masterplan für die verbleibenden Baugründe der Donaucity plant er gerade über 200 Meter hohe Türme und entwirft einen "multifunktionalen Stadtteil in optimaler Lage". Die Antwort der in Slovenien geborenen Marusa darauf: Hip Hop mit Versatzstücken und Textfragmenten aus der Umgebung des "Mardi Gras", eingebettet in ein Architekturmodell, das in seinen Einzelteilen die auffälligsten Merkmale der Donauplatte widerspiegelte.
Zur Stärkung bei all den künstlerischen Anspielungen und interdisziplinären Wiederaufnahmen bot Klaus Taschler zwar keine leichte performative Kost, dafür aber selbst gemachtes Speiseeis an. Exklusiv und auch nur für eine Stunde während der Eröffnungsfeier konnten sich die BesucherInnen am "Gelato di Me" delektieren. Versetzt mit dem durch Enfleurage-Technik extrahierten Geschmack des Künstlerkörpers, ist davon auszugehen, dass sich die meisten der zahlreichen Partygäste dann aber doch für ein leichtes Getränk an der Bar entschieden und vermutlich noch auf Bernerwürstel und Pommes beim benachbarten Promenadenfest einkehrten. (fair, derStandard.at, 08.07.2008)