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Herzinfarkte können mit Stents behandelt werden - das sind Implantate, die verstopfte Blutgefäße offenhalten.

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Kurt Huber (l.) ist Leiter der 3. Medizinischen Abteilung für Kardiologie und internistischer Notaufnahme im Wilhelminenspital in Wien. Er hat in Innsbruck und Wien studiert und sich 1995 habilitiert. Huber publiziert in zahlreichen Fachjournalen. Seine Spezialgebiete: koronare Herzerkrankungen, Herzinfarkte und antithrombotische Therapie.

Ernest Pichlbauer (r.) ist Gesundheitsökonom. Er hat in Innsbruck, Frankfurt und Wien Medizin studiert und war Universitätsassistent, bevor er sich der Versorgungsforschung zuwandte. Am Öbig hat er den Österreichischen Strukturplan Gesundheit mitverfasst und war bis zur Auflösung der Niederösterreichischen Gesellschaft für Gesundheit dort beschäftigt.

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Wie werden Herzinfarkt-Patienten in Österreich behandelt? Sind die Patienten überversorgt? Stefan Löffler diskutierte mit dem Kardiologen Kurt Huber und dem Gesundheitsökonomen Ernest Pichlbauer über Herzkatheterlabors, Multi-Slice-Verfahren und den Einsatz von Stents. Ein Einblick in die Schwierigkeit föderalistischer Gesundheitspolitik.

STANDARD: Gibt es in Österreich zu viel Herzmedizin oder zu wenig?

Pichlbauer: Wir haben immer mehr Herzkatheterlabors und immer mehr Kathetereingriffe.

Huber: Die Zahl großer Herzinfarkte ist rückgängig. Das liegt an der besseren Diagnostik im Vorfeld und daran, dass die Leute sich mit Beschwerden früher melden. Kleine Infarkte nehmen zu. Bei Symptomen von Herzdurchblutungsstörung ist eine Katheteruntersuchung notwendig. Vor allem aus Spitälern ohne Katheter-Option haben die Zuweisungen deutlich zugenommen.

Pichlbauer: Eine Steigerung um zehn Prozent von 2004 auf 2005 ist epidemiologisch nicht erklärbar.

Huber: Das ist vielleicht noch eine Spätfolge einer Änderung der internationalen Diagnose- und Behandlungsrichtlinien von 2002 auf 2003. Früher wurden Patienten mit Herzbeschwerden erst einmal medikamentös "abgekühlt".

STANDARD: Was heißt abkühlen?

Huber: Erst einmal nur die Beschwerden zu behandeln. Früher schickte man nur Hochrisikopatienten ins Katheterlabor, seit 2003 schickt man fast alle Patienten, die Beschwerden und einen begründeten Ischämieverdacht haben, noch während des stationären Aufenthaltes zur Katheteruntersuchung. Das hat sich bewährt: Die Sterblichkeit ist deutlich gesunken. Wir haben weniger große Infarkte und dafür mehr kleinere, die man rechtzeitig erkennt und behandelt.

Pichlbauer: Laut European Society of Cardiology ist pro Million Einwohner mit 3000 diagnostischen Herzkatheteruntersuchungen zu rechnen. Wir haben jetzt schon 5500.

Huber: Das kann an den Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten der Österreicher liegen. In der Versorgung der Patienten sind wir an der internationalen Spitze. Deutschland hat mehr Katheteruntersuchungen. Dort hat es möglicherweise budgetäre Gründe.

STANDARD: Weil dort der Arzt profitiert?

Pichlbauer: In Österreich das Spital.

Huber: Die Kosten decken in Österreich insgesamt die Ausgaben nicht. Das Spital hat nichts davon, wir sind maximal kostenneutral, eher defizitär, was diese Leistung anlangt.

Pichlbauer: Aber die Schweizer haben kapiert, dass sie nicht noch mehr machen dürfen. Seit Jahren stagniert die Zahl in der Schweiz, in Österreich steigt sie.

Huber: Man kann auch sagen, dass der Standard in Österreich im Vergleich zur Schweiz besser geworden ist. Vielleicht gehen die diagnostischen Kathetereingriffe ja auch bald zugunsten der Multi- Slice-Tomografie zurück.

STANDARD: Ist diese neue Diagnostik weniger invasiv?

Huber: Ja. Dafür hat sie eine höhere Strahlenbelastung und eignet sich nicht für alle Patienten. Anders als beim Herzkatheter kann man nicht sofort in derselben Untersuchung eine Engstelle der Herzkranzgefäße behandeln. Als Screening-Untersuchung ist sie nicht geeignet. Ich setze die Multi-Slice-Tomografie zur Ausschlussdiagnostik bei Patienten mit geringem Verdacht auf Herzdurchblutungsstörung ein. Wir wollen ja nicht jeden Patienten einem Kathetereingriff unterziehen.

STANDARD: Hat jedes Spital mit Katheterlabor eine Herzchirurgie?

Huber: Keineswegs. Die Richtlinien sagen längst, dass diese alte Forderung abgeschafft wird, da interventionelle Eingriffe sehr sicher geworden sind. Aber im Strukturplan Gesundheit 2006 ist das nicht geändert.

Pichlbauer: Es wurde politisch interveniert, um kleine Katheterlabos zu retten. Aus dem gleichen Grund werden von den Ärzten jährlich nicht 75, sondern nur 50 Interventionen verlangt.

STANDARD: Da geht es darum, wieviel Erfahrung ein Behandler hat?

Huber: Genau, aber die von Ihnen genannte Fallzahl ist durch keine internationalen Empfehlungen gedeckt. Die Österreichische Kardiologische Gesellschaft (ÖKG) schreibt in Anlehnung an internationale Daten mindestens 75 interventionelle Eingriffe pro Behandler pro Jahr vor. 75 ist schon wenig, aber man geht davon aus, dass man damit seinen Ausbildungsstand halten kann. Seitens der ÖKG sind wir der Meinung, dass nicht mehr als die derzeit 34 Labors nötig sind, um die Katheter-Anforderungen in Österreich zu erfüllen.

Pichlbauer: "Politisch" begründete Herzkatheterlabors können die geforderte Qualität häufig nicht sichern. Das gerade eingerichtete Labor in Waidhofen an der Ybbs ist ein Regionalkaisertum.

Huber: Da gab es von der ÖKG auch eine offizielle Stellungnahme ans Ministerium, dass dieses Labor wenig Sinn macht. Wir müssen als Fachgesellschaft in Interaktion mit der Politik treten und sind bereit dazu. Ein positives Beispiel ist die Aktion "Optimierung der Herzinfarkttherapie in Österreich" zusammen mit dem Bundesministerium. Nur wir können sagen, wie die internationalen Standards aussehen und was Sinn macht. Doch wir können niemandem was vorschreiben. Letztlich kann jede Stadt sagen, ob sie ein Herzkatheterlabor eröffnen will. Das ist eine politische Entscheidung.

STANDARD: Begründet werden neue Labors immer mit Notfällen.

Huber: Gerade für die Akutversorgung ist das überhaupt nicht erklärbar. Die Zahl der großen Infarkte ist rückläufig. Außerdem sind zur Qualitätssicherung für die Akutversorgung wesentlich höhere Fallzahlen nötig als für einen überwiegend diagnostischen Betrieb. Man geht von mindestens 400 interventionellen Eingriffen pro Katheterlabor jährlich und von zumindest 40 interventionell behandelten Herzinfarkten pro Jahr pro Zentrum aus. Eine weitere Vorgabe ist, dass ab Diagnose Herzinfarkt durch den Notarzt bis zur Behandlung im Katheterlabor maximal neunzig Minuten vergehen dürfen. So gesehen ist man österreichweit derzeit fast überall zeitgerecht in einem Katheterzentrum.

STANDARD: Auch das Setzen von Stents nach Herzinfarkten, die die Blutgefäße offenhalten, nimmt zu.

Huber: Vor zwei Jahren gab es eine große Aufregung, dass medikamentenbeschichtete Stents zu mehr Thrombosen und späten Herzinfarkten führen könnten. Das ist vielleicht auch von bestimmten Interessengruppen hochgeschaukelt worden.

Pichlbauer: Die European Cardiology Society hat zum vorsichtigen Einsatz beschichteter Stents geraten, bis bessere Daten vorliegen. Hier hat man davon wenig bemerkt.

Huber: Seit 2003 führen wir am Wilhelminenspital ein Register über Stentpatienten. Die Wiedereingriffsrate liegt für beschichtete wie unbeschichtete Stents unter zehn Prozent, die Thromboserate ist gleich hoch, und die Mortalität liegt bei medikamentenbeschichteten Stents sogar ein bisschen besser. Ich verteufele sie nicht.

Pichlbauer: Als Versorgungsforscher frage ich mich, wie es sein kann, dass es in Österreich ein Spital gibt, das zu 39 Prozent beschichtete Stents einsetzt, und eines, das es zu 100 Prozent tut.

Huber: Das hängt von den Patienten ab, die dort behandelt werden. Hoch liegen eher private Spitäler, die mit dem Argument des teureren Stents um Patienten werben. Sehr hoch werden auch Universitätskliniken und große Herzabteilungen liegen, da sie an Studien beteiligt sind.

Pichlbauer: Warum übernimmt die ÖKG keine Qualitätskontrolle?

Huber: Die Indikationspraxis im Nachhinein zu prüfen ist schwierig. Diagnose- und Behandlungsrichtlinien sind keine gesetzlichen Vorschriften sondern Vorschläge.

Pichlbauer: Wenn es die Fachgesellschaften nicht tun, übernimmt die Kontrolle jemand anderer. Qualität kann man nur kontrollieren, wenn man sie vorher definiert hat. Wenn sie jemand definiert, der von Medizin keine Ahnung hat, wird es gefährlich.

Huber: Die Frage ist nicht, ob wir es machen wollen, sondern ob man unsere Expertise akzeptiert und unsere Richtlinien politisch umsetzt. (DER STANDARD, Printausgabe, 7.7.2008)