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Nicolas Sarkozy drückte sein Vorzeigeprojekt gegen massive innere und äußere Widerstände und im Alleingang durch.

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Die Welt wird um eine Institution reicher: Am Sonntag hebt Frankreichs Staatschef Sarkozy mit großem Pomp die "Union für das Mittelmeer" aus der Taufe. Das Projekt wirft mehr Fragen auf, als es zu lösen vorgibt.

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Es wird auf dem Gruppenfoto zweifellos eng. In der neuen "Union für das Mittelmeer" vereinen sich sämtliche 27 EU-Staaten, dazu die Küstenanrainer im Süden und im Osten sowie die Balkanstaaten. Initiator des diplomatischen "Club Méditerranée" ist Frankreich, genauer gesagt Nicolas Sarkozy. Einwände gab es gleich vonseiten der EU und der Maghreb-Staaten: Sie fragen grundsätzlich, was der Unterschied zu dem 1995 lancierten "Barcelona-Prozess" im Mittelmeerraum sei.

Dass Sarkozy sein Vorzeigeprojekt gegen massive innere und äußere Widerstände und im Alleingang durchdrückte, zeigt nur, wie sehr ihm daran gelegen ist. Und das nicht bloß, weil er bei der groß angelegten Gründungsfeier "maître de cérémonie" spielen darf. Die mediterranen Völker des Mittelmeeres sollen, wie er vollmundig erklärt, einen "Traum von Frieden und Zivilisation" verwirklichen.

Großmachtträume

In Wahrheit hegt der 53-jährige Franzose vor allem Großmachtträume. Mit der Mittelmeerunion will er sein Land international besser positionieren. Dies namentlich in Europa, wo sich Paris im Zuge der EU-Osterweiterung an den Kontinentalrand gedrängt sieht und zuschauen muss, wie Deutschland eine zunehmend zentrale Stellung einnimmt. Neben machtpolitischen spielen auch präzise wirtschaftliche Überlegungen mit: Schon bei seinen jüngsten Kontakten mit den Maghreb-Staaten – einstigen Kolonien der Grande Nation – erwies sich Sarkozy vor allem als Handelsvertreter für die französische Nuklear- und Rüstungsindustrie.

Zweiter Beweggrund Sarkozys: Frankreich soll im Nahen Osten seinen Einfluss stärker geltend machen. Um den Iran zu isolieren, hat er sogar den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad nach Paris gebeten. Seine Hoffnung auf einen Handschlag Assads mit dem israelischen Regierungschef Ehud Olmert in Paris könnte allerdings enttäuscht werden. Viele Libanesen fühlen sich zudem von Frankreich verraten.

Gaddafi schmollt

Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi kommt wegen der israelischen Präsenz gar nicht erst nach Paris, und auch der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika ließ sich erst nach intensivem französischem Lobbying – sogar Premierminister François Fillon reiste nach Algier – überreden, der Mittelmeer-Konferenz zusammen mit den Israelis beizuwohnen. Außerdem hegt Algier den Verdacht, dass Sarkozy im Westsahara-Konflikt auf der Seite des marokkanischen Königs Mohammed VI. – auch er reist nach Paris – stehe.

Auf seiner Nordseite weckt der mediterrane Klub ähnliche Skepsis. Die Türkei befürchtet, dass ihr der EU-Beitritt mit dem Argument verweigert werde, sie sei ja nun Mitglied der Mittelmeerunion. In der EU können sich nicht einmal Spanien oder Italien für Sarkozys Steckenpferd begeistern, da sie sich als Steigbügelhalter französischer Interessen vorkommen. Die Nordeuropäer wiederum wehrten sich gegen Sarkozys anfänglichen Plan, die neue Union auf die Küstenanrainer zu beschränken. Angela Merkel sprach dann aber hinter geschlossenen Türen Klartext mit "Nicolas".

Merkels Sieg

Die deutsche Kanzlerin setzte durch, dass alle EU-Länder teilnehmen können – also sogar Ostseeanrainer wie Schweden oder Polen. Die "Mittelmeerunion" musste deshalb in "Union für das Mittelmeer" (MFU) umgetauft werden. Brüssel setzte durch, dass sämtliche EU-Vertreter – nicht nur Küstenanrainer – den Jahresvorsitz der MFU ausüben können. Die EU-Kommission erhob auch Einspruch, als Sarkozy den Sitz der Organisation an Tunis und den ersten Vorsitz an den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak vergeben wollte. In diesen Machtfragen gibt der französische Präsident höchst ungern nach: Auch dies zeigt, worum es ihm wirklich geht.

Konkrete Projekte und Möglichkeiten der Mittelmeerunion interessieren ihn bedeutend weniger. Bisher erwähnte er bloß die Entgiftung des Meerwassers oder den Bau einer Autobahn entlang der Maghreb-Küste von Marokko nach Ägypten. Beide Aufgaben werden schon vom Barcelona-Prozess wahrgenommen. Eine sinnvolle Kooperation wäre der Bereich Immigration oder etwa die Bekämpfung der Schlepperbanden. Dieses Thema vermeidet der Law-and-Order-Mann Sarkozy aber kurioserweise. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.7.2008)