Zur Person
Der renommierte Entwicklungsexperte Franz Nuscheler ist Professor Emeritus an der Universität Duisburg-Essen, Senior Fellow am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) und Gastprofessor an der Johannes Kepler Universität Linz.

Foto: derStandard.at/ Christa Hager

Wie können die Probleme der Welt, allen voran Armut und Klima, erfolgreich gelöst werden? Und wer soll sich um die Fragen der Zukunft, wie Energie oder Ernährung, kümmern? Weltweite Veränderungen, so der deutsche Entwicklungsexperte Franz Nuscheler, können nicht mehr allein von einzelnen Staaten allein gesteuert werden. Die Staatengemeinschaft brauche vielmehr globale Instrumente. Im Interview mit Christa Hager zeigt der Wissenschafter, welche Faktoren in der Vergangenheit zu den Problemen in den Nord/Süd- Beziehungen geführt haben und welche Wege auf neue Richtungen aus dieser Krise weisen können.

 

 

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derStandard.at: Die weltweite Armut hat nicht abgenommen. Was ist in der Vergangenheit in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit schiefgelaufen?

Franz Nuscheler: Vor allem die falsche Prioritätensetzung in der Entwicklungspolitik hat die Armut verschärft. Denn die Kleinbauern, die größte Armutsgruppe, wurden vernachlässigt. Die Ratio von Weltbank und Währungsfonds lautete lange Zeit: das Land braucht Devisen, um die Schulden abzubauen. Das bedeutete: Exportprodukte wurden vorrangig behandelt - noch vor den Nahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung.

Hinzu kommt, dass eine falsche Handelspolitik betrieben wurde. Die Länder des Südens wurden gezwungen, die Märkte zu öffnen. Im Gegenzug dazu haben wir aber unsere Märkte protektionistisch abgeschirmt und – was noch viel schlimmer ist – durch Agrarexportsubventionen die lokalen Produzenten aus dem Markt geworfen.

derStandard.at: Ist es nicht zu kurz gegriffen, wenn man alles den Industriestaaten in die Schuhe schiebt?

Nuscheler: Natürlich. Entscheidend sind auch interne Strukturen in den Ländern selbst. Berichte zeigen, dass in etwa einem Drittel der afrikanischen Staaten die Verwaltungs- und Rechtsordnung vollkommen zusammenbricht. Entwicklung kann nicht greifen, wenn der Staat über die Hauptstadt hinaus kaum mehr Kontrolle hat.

So gesehen haben wir es mit einem doppelten Versagen zu tun. Wobei sich hier auch die Frage stellt: Haben wir im Kalten Krieg nicht diese Nomenklaturen gefördert? Diese sitzen gerade deswegen so fest im Sattel, weil wir sie jahrzehntelang systematisch gezüchtet haben. Und jetzt ist es schwierig, sie wieder los zu werden.

derStandard.at: Was kann man gegen diese korrupten Eliten machen?

Nuscheler: Man kann diese Strukturen nicht Schlag auf Schlag ändern, auch wenn man weiß, dass viel Geld in falsche Kanäle fließt. Und diese Länder politisch fallen lassen, ist ebenfalls keine Lösung. Die Armutsgruppen würden doppelt bestraft.

Man kann hingegen versuchen, durch Beratung, durch Dialog und Belohnung von Reformen Änderungen in Gang zu setzen. Oder über Umwege Entwicklungspolitik machen: indem man die Widerstandskräfte wie traditionelle Autoritäten oder lokale NGOs im Land stärkt. Denn diese sind verantwortungsvoller und näher an der Bevölkerung als die Kleptokratien in den Präsidentenpalästen.

derStandard.at: Beim Gipfel der G-8 in Japan haben die Staats- und Regierungschefs eine Reihe von Beschlüssen zur Armutsbekämpfung beschlossen, darunter Maßnahmen zur Überwindung der Nahrungsmittelkrise. Was halten Sie davon?

Nuscheler: Diese Beschlüsse sind wenig wert. Sie sind lediglich Absichtserklärungen. Was die Ernährungskrise betrifft, muss man betonen, dass sie (noch) kein Problem der Knappheit ist, sondern der Kaufkraft. Personen, die 80 und 90 Prozent des Einkommens dafür ausgeben müssen, können die sprunghaft gestiegenen Preise nicht mehr bezahlen. In Thailand verrottet schon der Reis auf dem Markt. Es herrscht ein Überangebot, weil die städtischen Konsumenten sich die höheren Preise nicht mehr leisten können.

derStandard.at: Was kann man dagegen unternehmen?

Nuscheler: Es gibt eine Reihe an einleuchtender Vorschlägen, zum Beispiel von Ökonomen wie Jeffrey Sachs. Er sagt, damit die Kleinbauern produktiver wirtschaften können, brauchen sie bessere Bewässerungssysteme, besseren Zugang zu Saatgut und bessere Vermarktungsstrukturen.

derStandard.at: Und diese sollen nach wie vor über die Entwicklungszusammenarbeit finanziert werden?

Nuscheler: Gerade bei Bewässerungssystemen oder beim Aufbau von Samenbanken setze ich auf internationale Fonds. Wie diese funktionieren können, das zeigt der Global Health Fund zur Bekämpfung von Aids und Malaria. Die Bill und Melinda Gates Foundation zahlt hier mehr ein als Deutschland. Der Fonds ist sehr effektiv, auch was Krankheitsprävention betrifft.

Fest steht, dass kein einziger Staat mehr die Probleme lösen kann, weder als Geber – und sei er noch so mächtig wie die USA - noch als Empfängerland. Wir brauchen gemeinsame Lösungen. Und dafür bedarf es globaler Instrumente, einer "Global Governance".

derStandard.at: Ist es nicht problematisch, dass auch multinationale Konzerne unter diesen global koordinierten Akteuren sind?

Nuscheler: "Global Governance" bedeutet nichts anderes als die internationale Koordination und Zusammenarbeit von Staaten, privaten und öffentlichen Institutionen. Es ist wichtig, dass diese drei Akteure zusammenarbeiten.

Die Multis haben teilweise mehr Geld als die Nationalstaaten. Also muss ich sie miteinbeziehen. Hinzu kommt, dass die Multis durch Konsumenten und NGOs massiv unter Druck gekommen sind. Textilunternehmen waren früher richtige Räuberunternehmen. Doch Firmen wie H&M, Adidas oder OTTO-Versand haben unter dem Druck der Öffentlichkeit Kinderarbeit weitgehend abgeschafft. Sie wollen nicht mehr am Pranger stehen und massive Verkaufsverluste hinnehmen. Daher halten sich die meisten auch an die vereinbarten Verhaltenskodices.

Wir können weder den Kapitalismus abschaffen, noch die Multis. Beide sind zu mächtig. Aber wir können sie reformieren und positive Ansätze fördern.

derStandard.at: Aber nicht alle international tätige Firmen halten sich an diese Regeln. Was bringt dann eine solche Zusammenarbeit?

Nuscheler: Viele steigen aus den Abkommen wieder aus, wenn es ihnen wirtschaftlich nichts bringt. Aber die multinationalen Konzerne sind die wichtigsten Treiber der Globalisierung. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen sie arbeiten. Wie Untersuchungen zeigen, zahlen multinationale Konzerne in der Regel nicht nur bessere Löhne, sondern sie halten sich auch mehr an die Regeln des Arbeitsschutzes und Umweltschutzes. Weil sie Angst haben, dass es bei einem Vergehen zuhause Schelte gibt.

Wichtig ist, dass sich die Menschen wehren. In Simbabwe sind die Menschen wählen gegangen, obwohl sie wussten, dass sie ihr Leben riskieren. Diese konterhegemoniale Stoßkraft ist wichtig - in allen Bereichen. Denn ohne den Druck von unten ändert sich oben auch nichts. Die Eliten horchen erst dann auf, wenn von der Basis Druck und Widerstand kommt. (Christa Hager, derStandard.at, 12.7. 2008)