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FOTO: APA / HERBERT PFARRHOFER

Reichenau/R. – Stefan Zweig (1881– 1942) liebte es, auf Reisen zu sein. Auf Passagierschiffen, in Spielkasinos oder Hotelfoyers – in den Transitbereichen zwischen Alltag und Abenteuer beobachtete er die Vorfreuden von Mitreisenden, wie sie in Zuckungen über ihre gutbürgerliche Etikette gerieten. Es ist der gestische Mikrokosmos verkappter Fluchttendenzen, der die Novellen von Stefan Zweig füllt: "Reisen" als süßer, wenngleich vampiristischer Service für den Menschen.

So geschehen zu Reichenau an der Rax: Niveauvolles Sprechtheatererlebnis mit Anreiseexotik und sommermodischer Festspieletikette. Reichenau bietet derzeit eine stumpfe Spiegelfläche für die entgleisende Monte-Carlo-Reise der geldigen, ehelich verschnürten Claire Colman in Zweigs Novelle 24 Stunden aus dem Leben einer Frau (1926, Fassung: Stefan Slupetzky). Erst zwanzig Jahre später wird die Lady (Marianne Nentwich) ob der Zuhörerleidenschaft des Autors Zweig (Peter Matic) gesprächig bezüglich ihrer damals wider die Sitte agiert habenden Persönlichkeit (Regina Fritsch).

Nentwich hat als fuchtelige, laute Dame mit dem samtig gönnerhaften Matic den Bühnenrand eingenommen. Die junge Claire "funktioniert" im Geschehensmittelpunkt in anmutigen Posen. Fritsch gönnt ihr kleine, ausbrecherische Ticks, die sich in der Konfrontation mit dem Außeralltäglichen häufen: Sie bemerkt das krampfhafte Hoffnungsgehabe des sonst lebensmüden Spielers Victor (Marcello de Nardo), seine draufgängerische Lust bzw. Lustlosigkeit. Claire will helfen. Will dafür aber geliebt werden; setzt ihre Existenz für einen Traum ein. Und verliert; allerdings nur das Luftschloss samt Gigolo.

Für diesen Flaniergang durchs soziale Minidrama hat Peter Loidolt aus Art-déco-Raumpfeilern eine verbogene Rahmenlandschaft gezimmert. Darunter thront auf einer Schräge ein multifunktionaler Tisch – mal für Konversation, mal zum Glücksspiel, mal für Bettgeschichten zu gebrauchen, und darüber schwebt ein Spiegel – zum sozialpornografischen Perspektivenwechsel. Gerade zu Beginn hat Alfred Kirchner – er stammt aus der Herrenriege der über 70-jährigen Regiegranden – streng fokussierte Theaterbilder geschaffen:

Wiederholt friert er die insgesamt 17 Ensemblemitglieder ein, lässt die Zeit vor sich hintröpfeln. Da verpufft Skandalgeflüster! Allerdings kann die Produktion diese Qualitäten nicht über zwei Stunden retten: Im zweiten Teil fühlt man schmerzlich, wie die "Gerade noch gutgegangen"-Moral Einzug in die Milieustudie hält. (Georg Petermichl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.7.2008)