Sopran-, Tenor und Baritonsaxofon – US-Jazzer James Carter mag es vielseitig und ekstatisch.

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Auch abseits des Starrummels jedoch ereignete sich Bemerkenswertes.


Wien – Gemeinhin rechnet man ja mit Ekstatischem eher im Zugabenbereich. James Carter jedoch eröffnet in der Kammeroper, als wären die wilden Geister von Coltrane, Roland Kirk und Archie Shepp zeitgleich über ihn gekommen. Wilde Tonkaskaden verweisen auf eine unbändige Lust, emotional bis zum Äußersten zu gehen. Unglaublich. Danach wird es etwas gelassener, souljazziger, aber nicht minder interessant. Carter, der die Jazztradition (inklusive freien Spiels) durch Kauzigkeit und eben Intensität verlebendigt, legt nämlich Wert auf unmittelbare Interaktion mit der Band.

So kommunizieren und strahlen da drei Sidemen um die Wette, während Carter anfeuert oder dann doch wieder demonstriert, welche improvisatorischen Kräfte Zirkuläratmung zu entfesseln vermag.

Klänge, die man in Erinnerung behalten will, lässt das Jazzfest auch abseits des Star-Rummels entdecken. Etwa im Kunstforum auf der Freyung, wo die JazzWerkstatt Wien zu Gast ist und deren Initiator, Pianist Clemens Wenger, auch als Musiker Substanzvolles zu sagen hat. Das Trio mit Raphael Preuschl (b) und Herbert Pirker (dr), klingt nach vielem, nicht aber nach Tradition. Was auch den Interventionen von Tonmeister Werner Angerer zuzuschreiben ist:

Musik durch Gewitter

Ein Gewitterregen wie die Geräusche einer regennassen Straße, per Computer zugespielt, können da als Stimulus für Klaviermeditationen dienen, eine Monk-Komposition ebenso als Startrampe für Rundflüge in elektronisch-akustische Soundscapes fungieren wie Schönbergs Klaviersuite op. 25: Während sich die Bearbeitungen der ersten Sätze zu nah am Original bewegten, um zu eigener Aussage finden zu können, bahnte sich Wenger schließlich den Weg in Klangräume, in denen das Klavier wie eine verzerrte Erinnerung aus dem digitalen Speicher echote.

Sängerin Norma Winstone, Klaus Gesing (sax) sowie Glauco Venier (p) hingegen erquickten im Porgy & Bess durch organische Trialoge. Bruchlos verwoben sich die Vokalisen in das von Gesing und Venier disponierte kammermusikalische Liniengeflecht, in dem auch die Übergänge zwischen freier Improvisation und struktureller Inspiration beinahe unmerklich vollzogen wurden. Zuweilen strömten die Ideen aus drei simultanen, gleichberechtigten Quellen.

Intensität statt Intimität an anderer Stelle: Ken Vandermark, Max Nagl, Clayton Thomas und Wolfgang Reisinger vergriffen sich geist- und geräuschvoll an Stücken von Ornette Coleman und Eric Dolphy. Dabei schlug man etwa im Dolphy-Tune "GW" die Brücke in die Gegenwart frei improvisierter Musik, während man etwa in "Miss Ann" , von kontrapunktischen Bläsersätzen nach Art des West-Coast-Jazz geprägt, auch die Wurzeln der Avantgarde-Jazzer freilegte.

Beim Projekt handelt es sich übrigens um die Tat des agilen Labels Handsemmel, das zur Finanzierung künftiger Vorhaben tatsächlich den "Verein der Freunde und Freundinnen von Handsemmel Records" gegründet hat. Schwere CD-Zeiten brauchen lustige Ideen! (Andreas Felber/ Ljubiša Tošic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.7.2008)