Wien - Das Ausmaß des Anstieges von Kinderdelikten in der Statistik des Innenministeriums (siehe Artikel oben) überrascht auch Kinder- und Jugendexperten. Dies umso mehr, weil ausländische Banden, die Kinder zum Stehlen ausschicken, seit mehr als einem Jahr kaum mehr in Österreich unterwegs sind. "Man muss sich genau anschauen, welche Kinder hier in der Statistik erfasst sind. Auch wie deren familiärer und soziologischer Hintergrund aussieht", meint Professor Max Friedrich, der Leiter der Universitätsklinik für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters am Wiener AKH, im Standard-Gespräch.

Von einer Absenkung der Strafmündigkeit hält Friedrich nichts. In den meisten Ländern Europas liege die Grenze bei 14 Jahren. "Es geht um die Frage der Tragweitenabschätzung", so Friedrich. Kindern fehle eben noch die Antizipationsfähigkeit, Unrecht einzuschätzen und auch danach zu handeln. Körperliche und intellektuelle Reife müssten nicht einhergehen, gibt der Kinderpsychiater zu bedenken.

Die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits hält vom Zahlenmaterial wenig: Sie ist es leid, sich mit dieser "unerträgliche Kriminalsstatistik des Innenministeriums" beschäftigen zu müssen. Es gebe zwar Schätzungen, dass europaweit sechs Prozent der Jugendlichen in irgendeiner Form kriminell geworden seien - "aber das heißt, dass 94 Prozent noch nie aufgefallen sind". Aus ihrer Sicht wäre es notwendiger, dass alle beteiligten Politiker aus Bund und Ländern überlegen, wie schon präventiv vorgegangen werden kann. "Jugendliche, die Probleme machen, haben immer selbst welche: Gewalterfahrungen oder desolate Familienverhältnisse." (DER STANDARD, Printausgabe, 12./13. Juli 2008)