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Von der Puppe direkt zum Baby.

Foto: Reuters
Mit 13 treibt Marta ab. Mit 14 noch einmal. Mit 16 bekommt Marta ein Kind. Mario, 16 Monate, hat dichte schwarze Locken. Fest patscht er mit seinen Händen auf einen zitronengelben Luftballon. Immer fester, bis es schließlich "paff!" macht. Erschrocken starrt Mario seine Mama an, bis er sich wieder entspannt und sich seine Mundwinkel nach oben ziehen zu einem breiten Grinsen.

Während Mario spielt, erzählt Marta. Von früher, als sie noch unterwegs war, eine Zeitlang bei ihrem Freund lebte, sich zu Hause kaum blicken ließ. Dass sie auseinander waren, weil er sie schlug, aber dass er das nicht mehr tut. Dann die erste Abtreibung, zu der die Oma sie begleitet hat. "Alle haben gesagt, es ist nicht so schlimm, aber es hat wehgetan", sagt sie. Verhütet hat sie nicht. "Ich hab die Pille hin und wieder genommen, aber nicht regelmäßig." Auch nach der ersten Abtreibung verhütet Marta nicht - und wird wieder schwanger.

Hannelore Bauer, Sozialarbeiterin in der Beratungsstelle für Familienplanung der MAG elf in Wien, kennt ähnliche Fälle. "Wenn ich die Mädchen frage, warum sie nicht verhütet haben, höre ich oft, dass sie gerade mit der Pille anfangen wollten, sie vergessen haben oder gedacht haben, der Mann hätte aufgepasst." Bauer vermutet, dass viele keine Ahnung haben, wie man die Pille richtig verwendet - das kann so weit gehen, dass sich zwei Mädchen die Packung teilen und Ähnliches.

HIV war für Marta und ihren Freund auch kein Thema. Auch das ist Hannelore Bauer bekannt. "HIV ist für viele Jugendliche, mit denen wir sprechen, wie eine Krebserkrankung: Entweder man bekommt es oder eben nicht." Genauso wissen viele Burschen und Mädchen nicht, wie man ein Kondom richtig verwendet. "Frage ich nach, bekomme ich als Antwort: ,Na drüberziehen'", sagt Bauer. Wie das genau funktioniert, wie das Kondom richtig ausgepackt, aufgerollt und wieder heruntergenommen wird - ein Rätsel.

Laut Schätzungen des Ambulatoriums für Sexualmedizin und Schwangerenhilfe pro:woman steigt der Anteil der Schwangerschaftsabbrüche junger Frauen: Von den geschätzten 30.000 bis 35.000 Abbrüchen sind 13 Prozent der Betroffenen zwischen 14 und 19 Jahre - vor drei Jahren waren es noch vier Prozent.

Marios Papa sitzt auf der Couch und legt eine DVD ein, während Marta das Kind aus der Badewanne holt und anzieht. In der Wohnung riecht es nach gebratenem Fleisch. Mario läuft zu seinem Papa, während Marta ihrem Freund das Essen serviert. Auf dem Bildschirm startet ein Zeichentrickfilm. "Ich muss immer fernsehen. Beim Schlafengehen, beim Essen, immer", sagt der Vater. Mehr sagt er nicht. Mario ist der Fernseher egal, er beschäftigt sich lieber mit einer Schachtel, betrachtet sie von allen Seiten, hebt sie hoch, wirft sie um.

Marta versichert, sie wisse genau, wie man verhütet. "Aber die Pille ist lästig. Die Spirale haben zwei meiner Freundinnen gehabt. Eine hat einen Riesenbauch bekommen. Und das Hormonpflaster sieht man. Das will ich auch nicht." Falls sie noch einmal schwanger wird, will sie das Kind wieder bekommen. Dann wird es eben noch ein bisschen enger - finanziell und räumlich. Rund 1000 Euro hat die Jungfamilie im Monat zur Verfügung. Die Erdgeschoßwohnung hat zwei kleine Räume, eine Küchenzeile, eine ausziehbare Couch. Marta sitzt beim kleinen Esstisch, auf dem ein überquellender Aschenbecher steht.

Keinen Bezug zum Körper

"Manche jungen Frauen erwarten sich durch ein Kind eine soziale Aufwertung, wollen so ihrer eigenen Familie entkommen", sagt Bettina Weidinger vom Österreichischen Institut für Sexualpädagogik, "sie hoffen, erwachsener zu wirken und ernster genommen zu werden." Meist haben die Mädchen keinen Bezug zum eigenen Körper und schaffen es nicht, Verhütungsmittel richtig zu verwenden.

Der kleine Mario hat erst einmal genug von seiner Schachtel. Er streckt die Arme seiner Mama entgegen, die ihn auf den Schoß nimmt. "Zu Hause konnte ich nicht bleiben. Ich hatte mit meinen Schwestern gemeinsam ein Zimmer", erzählt Marta. In den ersten Monaten vor und nach der Geburt lebte sie gemeinsam mit anderen jungen Müttern und Schwangeren in einem Mutter-Kind-Heim der Stadt Wien. Warum sie alle so jung schwanger wurden, darüber haben die Mädchen nie gesprochen.

Bettina Weidinger vermutet, dass die meisten Jugendlichen einfach nicht Bescheid wüssten. "Die Informationen für Jugendliche sind leider sehr häufig langweilig, praxisfern und moralisierend. Bei mir war beispielsweise ein Mädchen, das ganz genau wusste, wie der Zyklus funktioniert. Die Antwort auf die Frage, wann sie selbst demnach besonders fruchtbar sei, wusste sie dennoch nicht."

Die Medien lösen diese Verwirrung nicht auf. Wenn "Dr. Niddl" vom österreichischen Jugendmagazin Xpress einer 15-Jährigen mit Schmerzen während des Sex rät, sie solle sich auf sich selbst konzentrieren, sich fallen lassen und verschiedene Praktiken ausprobieren, ist es zwar nett gemeint, aber eigentlich kontraproduktiv, genauso wie die sexuellen Praktiken, die einige Seiten davor Barbie und Ken vorführen.

"Es zeigt sich immer nur das Bild einer sexuellen Leistungsgesellschaft, die Emotionen bleiben auf der Strecke", ist Bettina Weidinger überzeugt. Dabei geht es nach wie vor um Liebe, Flirten - und vor allem Anerkennung. "Das Bild der sexuell exzessiven Jugendszene, das es derzeit gibt, halte ich für vollkommen falsch."

An die ferne Zukunft, sagt Marta, denke sie jetzt noch nicht. Nur an die nächsten Schritte: Führerschein machen und ihren Hauptschulabschluss nachholen. Mario windet seinen Körper wieder aus den Armen seiner Mutter, krabbelt zur Spielzeugkiste. Er holt einen Winnie Pooh aus Stoff heraus, und dann verziehen sich seine Mundwinkel wieder zu einem breiten Grinsen. (Silvia Pistotnig/DER STANDARD, Printausgabe, 12./13. Juli 2008)