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Die Stationen des Mark Shuttleworth weisen dem 34-jährigen ein bislang recht bewegtes Leben aus: Als Gründer der auf Sicherheitszertifikate spezialisierten Firma Thawte konnte er durch deren Verkauf um rund 575 Millionen US-Dollar bereits recht früh seine finanzielles Auskommen finden. In Folge sorgte der im südafrikanische Welkom geborene Shuttleworth unter anderem für Schlagzeilen, als er im Jahr 2002 als erster Afrikaner ins Weltall flog. Im Jahr 2004 startete er dann ein Unterfangen, das bis heute sein Schwerpunkt bleiben sollte: Die Linux-Distribution Ubuntu. Über seine Firma Canonical trägt der selbst schon seit den Neunziger Jahren als Debian-Entwickler tätige Shuttleworth persönlich einen großen Teil der finanziellen Basis der Distribution.

 

Das aktuellste Ergebnis dieser Bestrebungen nennt sich "Hardy Heron" oder auch schlichter "Ubuntu 8.04", und wurde im vergangenen April samt einem Langzeit-Support-Versprechen von drei Jahren für den Desktop und fünf Jahren für den Server-Bereich veröffentlicht. Über diese aber auch die Zukunft des Linux-Desktops als Ganzen, die Stärken von Apple und über mögliche zentrale Änderungen beim GNOME führte Andreas Proschofsky am Rande der GNOME Users and Developers Conference (GUADEC) in Istanbul ein ausführliches Interview.

Das folgende Interview gibt es auch im englischsprachigen Original.

derStandard.at: Vor einigen Monaten wurde eine neue Long Term Support Release (LTS) von Ubuntu veröffentlicht? Wie schaut hier der weitere Zeitplan aus?

Mark Shuttleworth: Wir haben vor kurzem das erste größere Update veröffentlicht. Eine der zentralen Änderungen, die wir uns für diese LTS überlegt haben, war, dass es alle sechs Monate eine neue Point Release geben soll, zwischen den regulären Releases. Auf diese Weise können wir im Nachhinein neuen Hardware-Support hinzufügen, oder für die User problematische Bereiche ausbessern.

derStandard.at: Heißt das, das es auch regelmäßige größere Kernel-Upgrades geben wird?

Shuttleworth: Kernelseitig werden wir - zumindest für die kommenden zwei Jahre - den LTS-Kernel warten und erweitern. Danach könnte es durchaus sein, dass wir auf eine aktuellere Kernel-Version wechseln, das hängt wohl auch davon ab, wie mühsam das Rückportieren von Treibern bis dorthin ist.

derStandard.at: Ubuntu 8.04 hat einiges an Kritik einstecken müssen, etwa wegen Problemen im Audio-Bereich oder auch anderen Bugs. Rückblickend betrachtet: Hätte man sich lieber etwas Extrazeit nehmen sollen, um die verbliebene Bugs zu beseitigen, so wie man es bei "Dapper Drake", der ersten LTS, gemacht hat?

Shuttleworth: Genau genommen haben wir die Entscheidung, im normalen sechsmonatigen Release-Zyklus zu bleiben, aufgrund der Erfahrungen mit Dapper Drake getroffen. Denn bei Dapper Drake hatten wir nicht das Gefühl, dass die zwei Monat extra sonderlich viel zusätzliche Stabilität gebracht haben.

Die größte Kritik an Hardy war ja, dass wir Firefox 3 im Beta-Stadium ausgeliefert haben. Das war allerdings eine sehr bewusste Entscheidung, die wir in Zusammenarbeit mit dem Mozilla-Projekt getroffen haben. Wir waren ziemlich zuversichtlich, dass Mozilla den Firefox in absehbarer Zeit veröffentlichen würde. Und wenn wir jetzt - nach der Veröffentlichung von Firefox 3 - den Firefox 2 noch drei Jahre lang ausliefern würden, wären die Leute wohl ebenfalls wenig erfreut. Insofern denk ich, dass das die richtige Entscheidung war.

Ein weitere Kritikpunkt war der Umstand, dass wir die LTS-Release auf einer GNOME-Version aufgebaut haben,die grundlegende Änderungen bei der virtuellen Dateisystemebene erfahren hat. Die meisten der daraus entstehenden Probleme sind nun aber mit der Point-Release beseitigt worden, zumindest die größten. Um das zu erreichen, haben wir intensiv mit dem GNOME-Projekt zusammengearbeitet, trotzdem war das aber natürlich keine optimale Situation.

Das dritte - schon erwähnte - Problem waren die Bugs im Audio-Bereich und das ist schon eine etwas schwierigere Angelegenheit, da wir davon ausgehen, dass es hier ein Bedürfnis nach einer klaren Ausrichtung unter Linux gibt. Es gibt bislang einfach eine Menge unterschiedlicher Kombinationen, die in diesem Bereich zum Einsatz kommen, und wir haben uns vorgenommen mit Hardy eine gemeinsame Plattform voranzutreiben. Also haben wir uns mit anderen Distributionen zusammengesetzt und es hat sich gezeigt, dass diese die selben Änderungen vornehmen wollten. Also haben wir uns gedacht: Machen wir das und senden so ein starkes Signal aus, das dies die Audio-Plattform ist, auf die die Distributionen setzen.

derStandard.at: Hat man vielleicht einfach einen schlechten Zeitpunkt für die neue LTS gewählt? GNOME hat große Änderungen vorgenommen, Firefox war noch nicht fertig, PulseAudio wurde neu aufgenommen. Wäre es nicht besser gewesen die nächste Release, sechs Monate später, für die LTS zu nehmen?

Shuttleworth: Diese Kritik nehme ich an. Trotzdem denke ich, dass all diese Entscheidungen uns in Wirklichkeit näher dorthin gebracht haben, wo Upstream eigentlich sein will. Zusammengefasst bin ich der Meinung, dass wir eine LTS ausgeliefert haben, die drei Jahre lang wartbar ist. Uns war schon vorher klar, dass es das eine oder andere Problem geben würden, wir waren aber auch davon überzeugt, dass diese innerhalb des Wartungszyklus bereinigt werden können.

derStandard.at: Sollen UserInnen, die eine wirklich stabile Ubuntu-Version haben wollen, also künftig auf die erste Point-Release warten, ähnlich wie viele Windows-BenutzerInnen auf das erste Service Pack warten?

Shuttleworth: Natürlich sollte das nicht so sein, eine Release sollte auch sofort ausrollbar sein. und eigentlich haben wir auch keine Zweifel daran, dass dies auch so war, unklarer ist hingegen, ob Masseninstallationen sofort auf die neue Release wechseln sollen, was allerdings eine etwas andere Fragestellung ist.

Man muss auch festhalten, dass wir während der Test-Phase einfach kein ausreichendes Ausmaß an Beta-Tests bekommen haben, viele Bugs zeigten sich erst nach der offiziellen Freigabe. Eine Lehre für die Zukunft könnte daraus sein: "Machen wir nicht die 8.04 zur LTS, sondern erst 8.04.1". Das könnte ein Bereich sein, den wir für die nächste LTS ändern.

derStandard.at: Was ist mit der Möglichkeit die großen Distributionen besser aufeinander abzustimmen und die Upstream-Projekte dazu zu bringen, sich an diesem Zyklus zu orientieren?

Shuttleworth: Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist das etwas was ich aktiv voranzutreiben versuche. Wir haben ja auch schon gesagt, dass wir die nächste LTS in zwei Jahren machen wollen, außer wir schaffen es ein Abkommen mit einer der anderen Distributionen zu treffen. Seit ich diese Idee eines "Meta-Release-Zyklus" öffentlich gemacht habe, hat es einige sehr interessante Diskussionen gegeben. Genau genommen geht es dabei ja auch weniger um eine Anpassung des Release-Datums als des Freeze-Datums, was ermöglicht gemeinsam an den einzelnen Komponenten zu arbeiten. Mit Debian machen wir das ja bereits in vielen Bereichen, auch mit einzelnen Upstream-Projekten klappt das schon recht ordentlich. Wenn wir das Distributions-übergreifend schaffen würden, wäre das ein signifikanter Fortschritt.

derStandard.at: Gibt es darauf eine realistische Chance?

Shuttleworth: Ich denke schon, es ist durchaus möglich, dass sich eine der anderen großen Distributionen zumindest auf ein beschränktes Abkommen einlässt. Dazu gibt es auch aktuell Gespräche.

Aus der Wirtschaft gibt es einige Beispiele, die zeigen, dass ein gewisses Level von Abstimmung allen Beteiligten mehr Kunden, mehr User bringt. Es gibt so eine Angst unter den Distributionen, dass, wenn wir gleichzeitig veröffentlichen,die User auf Augenhöhe wählen können. Die Realität ist freilich, dass jede der Distributionen unterschiedliche Vorteile hat, und das ist etwas, das nichts damit zu tun hat, welche X.org-Version man verwendet..

derStandard.at: Trotzdem sind doch Red Hat und Novell beides Unternehmen die ein Stück größer als Canonical sind, die mehr Support-MitarbeiterInnen haben, mehr EntwicklerInnen. Aus deren Blickwinkel kann es also so aussehen, also ob sie etwas zu verlieren hätten, da sie auf diese Weise als Nebeneffekt mehr Stabilität für Ubuntu liefern.

Shuttleworth: Na ja, um genau zu sein haben wir eine bessere Sicherheitsgeschichte als Red Hat zu bieten, in dem wir uns sehr stark auf diesen Bereich konzentrieren und sicherstellen, dass Updates so schnell wie möglich unter Ubuntu ausgeliefert werden. Unabhängige Studien haben hier auch Ubuntu regelmäßig an die Spitze gereiht. Wir hatten zwar kürzlich ein grauenvolles Sicherheitsproblem [die OpenSSL-Lücke in Debian-basierten Distributionen, Anm. der Red.], aber die Reaktion darauf war geradezu vorbildlich.

Was ich damit eigentlich sagen will ist, dass die Annahme, dass Canonical in so einem Fall nichts beizutragen hätte, und dies somit ein einseitiger Austausch wäre, etwas ist, dem ich nicht zustimmen kann. Nehmen wir doch einfach mal den Hardware-Support, bei dem Ubuntu meist am besten ist. Wenn wir alle auf den gleichen Kernel setzen, können die anderen Distributionen die Treiber einfach übernehmen und einen gleich guten Hardwaresupport wie Ubuntu anbieten.

 

 

derStandard.at: Wenn wir schon beim Thema Sicherheit sind, wird Ubuntu bei AppArmor bleiben, obwohl Novell hier die Entwicklung abgegeben hat, oder wechselt man zu SELinux?

Shuttleworth: Das ist eine ziemlich gute Frage, es gibt hier einiges an Änderungen. Das ist eben eine dieser schwierigen Situationen beim Managen einer Plattform, man muss immer ein gewisses Vertrauen in einzelne Communities setzen. Besonders bei Communities, die vornehmlich von anderen Unternehmen getragen werden, gibt es hier immer ein gewisses Risiko, immerhin können die Firmen ja schnell ihre Strategie ändern.

derStandard.at: Im Moment sieht es aus, als hätten sich alle auf den GNOME als Default-Desktop geeinigt, sehen sie das auch so?.

Shuttleworth: Ja, aber ich denke nicht, dass dies für alle Zeiten so bleiben muss. Wenn ich mir ansehe, was in der KDE-Community momentan so an Arbeit geleistet wird, dann gibt das eine recht lebendiges Bild. Ich verwende KDE auf meinem Desktop und ich genieße es die Geschwindigkeit des Fortschritts dort zu beobachten. Und die KDE-Leute haben in gewisser Weise recht, wenn sie sagen, dass der eigene Ansatz leichter große Fortschritte ermöglicht als der GNOME-Ansatz, der sich auf vorhersehbare Release-Zeitpläne konzentriert. Die Kehrseite davon ist natürlich, dass genau diese Berechenbarkeit und die Wahl der LPGL GNOME äußerst interessant für Unternehmen gemacht hat.

Anstatt zu sagen: "GNOME gewinnt, KDE verliert", wäre es wichtiger zu sagen: "Wie können wir die beiden Communitys dazu zu bringen, sich zusammenzusetzen und miteinander zu reden? Wir brauchen beides: Stabile Release-Zyklen und die Fähigkeit schnelle Fortschritte wie KDE4 zu machen.

Ich bin selbst ziemlich daran interessiert, herauszufinden, wie wir eine solche vertiefte Zusammenarbeit ermöglichen könnten, wie wir mehr teilen könnten. Sowohl auf einer technologischen Ebene als auch in Hinblick auf Praktiken und Prozesse.

derStandard.at: Nokia scheint ebenfalls stark an einem solchen Schritt interessiert zu sein...

Shuttleworth: Nun, schließlich haben sie ja gerade erst Trolltech [das Unternehmen hinter Qt, Anm. Red] gekauft, insofern macht das klarerweise Sinn für sie. Viel wird davon abhängen, wie sich Nokia künftig in Lizenzfragen entscheidet. Und unabhängig davon auch, was GNOME tun wird, wenn Nokia die Qt-Lizenz so ändert, dass sie zur GNOME-Vision passt, also ob man Qt als Plattform akzeptieren kann.

derStandard.at: Sie wären also dafür, dass GNOME auf Qt umsteigt?

Shuttleworth: Ich denke, dass es ohne weiteres möglich ist, die Werte von GNOME auf Basis von Qt weiter zu entwickeln. Derzeit verhindern dies aber Lizenzprobleme, GNOME ist maßgeblich auf der LGPL aufgebaut, die es Unternehmen ermöglicht ihre eigenen Produkte auf freier Software aufzubauen, und ihnen dabei mehr Freiheit und Flexibilität bei der eigenen Lizenzwahl gibt. Das war ganz klar ein zentraler Faktor für den Erfolg des GNOME bei unabhängigen Softwareherstellern.

Ob wir es dann schaffen die FSF (Free Software Foundation) davon zu begeistern, ob wir es schaffen das GNOME-Projekt zu begeistern, Nokia für etwas zu begeistern, dass das Leben der Entwickler deutlich vereinfachen würde, das wird noch eine ziemliche Herausforderung. Ich würde mir zumindest wünschen, dass sich beide Desktops auf eine gemeinsame Infrastruktur konzentrieren könnten. Und das ist ja in der Vergangenheit schon teilweise passiert, eine Vielzahl der Freedesktop-Projekte sind von beiden Projekten aufgegriffen worden, HAL und d-bus seien hier stellvertretend genannt.

Das gilt auch für andere Softwareprojekte, wenn man etwa g-irgendwas oder k-irgendwas nennt, dann nagelt man das Ganze schon auf eine gewisse User-Experience fest. Neue Projekte sollten sich aber wirklich an den gesamten Linux-Desktop richten und sehen, wie sie für beide Seiten interessant sein können.

derStandard.at: Zuletzt gab es eine "Dekadenz"-Diskussion in der GNOME-Community, in der es darum ging, ob der GNOME nur mehr in einer Art Wartungsmodus ist. Denken Sie das größere Änderungen notwendig sind, um wieder mehr Innovationen in den GNOME zu bekommen?

Shuttleworth: Meiner Meinung nach hat GNOME die Messlatte für gutes Release Management und für maximale Stabilität gegenüber den Entwickler geliefert. Und das ist auch äußerst wertvoll und einer der Gründe warum wir GNOME als ersten unterstützten Desktop in der Ubuntu-Plattform gewählt haben. Auch ist das wohl der Grund, warum eine Mehrheit der Unternehmen, die für Linux entwickeln den GNOME verwenden. Aber es ist eben auch mindestens gleich wichtig eine klare Strategie für Innovationswellen zu haben. Und da haben die KDE-Leute schon recht, wenn sie sagen, dass man mit einem ewigen Versprechen auf API/ABI-Kompatibilität und sechsmonatigen Releases kein großen Innovationssprünge machen kann.

Es ist auch nicht so einfach, zu sagen, jetzt haben wir GTK+2 und dann halt GTK+3, man muss sich gut überlegen, wie man regelmäßige Änderungen in die Plattform einführen kann. Und darüber würde ich bei GNOME gern mehr Diskussionen sehen.

Wir müssen das angehen, indem wir sagen: "Was sind die besten Methoden, wir managen wir Veränderungen?" Bei allem was wir an Microsoft und Apple auszusetzen haben, aber sie versuchen reale Probleme zu lösen. Und man kann ja auch keine ur-alte Windows-Anwendung auf neuen Windows-Releases laufen lassen.

derStandard.at: Sie haben KDE als ein Beispiel für große Fortschritte in Spiel gebracht, aber zeigt nicht gerade dieses Beispiel aktuell, dass mit so großen Sprüngen auch gewisse Risken verbunden sind?

Shuttleworth: Ja, das ist natürlich ein interessanter Einwand. Darum ist es auch nicht damit getan zu sagen "sechsmonatige Releases, dann eine große Release, die perfekt ist und dann wieder zwei jahrelang keine Neuerungen. Denn natürlich würde man das dann beim ersten mal nicht perfekt hinkriegen, weil so große Veränderungen auch unweigerlich Probleme mit sich bringen. Darum denke ich auch, dass sehr gut durchdachte Gespräche zwischen den führenden Köpfen nötig sind, Gespräche die sich um reale Erfahrungen, um eine weitere Orientierung auf Stabilität und Berechenbarkeit aber auch um die Möglichkeit große Änderungen einzuführen, drehen sollen. Wie man Wandel als Prinzip einführt, ist äußerst wichtig. Zum Beispiel sollten wir sicherstellen, dass, wenn GTK+ 3 vorgestellt wird, es parallel zu GTK+ 2 benutzt werden kann, unter Umständen sogar in der gleichen Anwendung. Und dass wir nicht gleich bei der Veröffentlichung von GTK+ 3 eine dauerhafte API/ABI-Stabilität garantieren. Vielleicht würde es Sinn machen, GTK+ 3 für ein bis zwei Jahre reifen zu lassen, bevor wir ein API/ABI-Versprechen abgehen und die Unterstützung für GTK+2 aufgeben.

derStandard.at: Wenn man sich den Desktop-Markt anschaut, dann gibt es ein Betriebssystem, das derzeit deutlich wächst, es ist aber nicht Linux. Es ist OS X. Was sind ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Shuttleworth: Wir sollten zunächst mal klarstellen, dass wir das wirklich richtig verstehen, weil das eine sehr wichtige Beobachtung ist: Der Umstand, dass OS X wächst, sagt uns, dass Windows Schwäche zeigt. Der Umstand, dass OS X wächst und Linux nicht, sagt uns dass OS X Sachen anbietet, die Linux nicht hat. Eines davon ist die Geschwindigkeit, mit der hier neue Innovationen eingeführt werden. Man muss Apple wirklich dafür Respekt zollen, wie das Unternehmen Innovationen vorantreibt. Ein weiterer Grund ist ihr Fokus auf das Internet. Sie erkennen ganz klar, dass heutzutage das Web die Killeranwendung am PC ist und nicht mehr Microsoft Office.

Hier liegt aber auch eine echte Chance für uns, die Chance eine großartige Web-Experience abzuliefern, aber um dies zu erreichen müssten wir uns verstärkt auf diese Aufgabe konzentrieren.

derStandard.at: OS X ist für Sie also interessanter als Windows?

Shuttleworth: Für mich ist OS X definitiv interessanter. Zwar bin ich davon überzeugt, dass freie Software die ultimative Plattform für Innovation ist, aber Innovation neigt auch dazu "faulen Pfaden" zu folgen. Menschen wählen oft den Weg des geringsten Widerstands, sie wollen ihre Ideen umsetzen, und dies möglichst einfach. Und momentan bieten wir einfach keine sonderlich einfache Umgebung um neue Ideen auszuprobieren.

Aber natürlich gibt es auch positive Ausnahmen, Firefox-Erweiterungen zum Beispiel. Nachdem Firefox das gleiche Level an Funktionalität wie der Internet Explorer erreicht hatte, hat es eine regelrechte Explosion an Plugins gegeben. Ein Zuwachs, der von Personen getrieben wird, die ihre eigenen Vorstellungen davon haben, wie man einen Browser besser machen könnte. Und was ist der einfachste Weg dies zu erreichen? Schreib ein Firefox-Plugin! Und daraus können wir einiges lernen.

 

 

derStandard.at: Was sind die zentralen Punkte, die den Erfolg des Linux Desktops bremsen?

Shuttleworth: Wir liefern einfach noch kein ausreichend gute User Experience ab. Sie ist ausreichend für Leute, die einen guten Grund haben, Linux zu benutzen, entweder wegen dem Preis oder auch der damit verbundenen Freiheit. Wenn das die primären Interessen sind, ist Linux schon jetzt die richtige Antwort.

Aber wenn Sie jemand sind, der sich um den Preis nicht sonderlich schert, den die "Freiheit" wenig interessiert, können wir wohl nicht behaupten, dass der Linux Desktop die beste Experience abliefert. Und das ist definitiv etwas, was wir ändern müssen, etwas an dem ich in Zukunft arbeiten will, indem wir wachsende Ressourcen von Canonical dafür aufwenden, um herauszufinden, was wir tun können, um mit Mac OS X mithalten zu können.

derStandard.at: Gibt es hier schon konkretere Pläne?

Shuttleworth: Ich tue mir noch etwas schwer zu sagen: "Das ist es, was wir tun werden". Gerade die GUADEC ist wichtig, um herauszufinden, wo wir am besten helfen könnten, wo zusätzliche Ressourcen einen Unterschied ausmachen könnten. Möglicherweise geht es auch nicht immer um zusätzliche Entwickler, wir versuchen das zuerst richtig einzuschätzen, bevor wir entscheiden, was wir tun wollen, um den Desktop vorwärts zu bringen.

Außerdem können wir das nicht ausschließlich entweder mit GNOME oder KDE machen, wir müssen herausfinden wie wir die gesamte Linux-Desktop-Plattform vorwärts bringen können. Ich gehe mal davon aus, wenn wir Upstream-Entwickler anstellen, dass diese sowohl aus der GNOME als auch der KDE-Ecke kommen werden.

derStandard.at: Vor einigen Monaten haben Sie mit Ubuntustorm eine Art Brainstorming-Seite ins Leben gerufen, auf der die BenutzerInnen ihre Ideen abliefern können und die der anderen bewerten können. Was passiert mit diesen Informationen dann?

Shuttleworth: Es gibt hunderte von freiwilligen Mitarbeitern bei Ubuntu, und viele von ihnen werden durch persönliche Interessen angetrieben. Und bis zu einem gewissen Grad spielt es da auch eine Rolle, wie populär etwas ist. Als Beispiel: Die ganzen Verbesserungen bei der Multimedia-Unterstützung, also etwa die Installation von zusätzlichen Codecs, waren ein Ergebnis von Wünschen der Benutzer. Und Ubuntustorm ist etwas, das diesen Ansatz vorantreibt.

Aber natürlich ist es weiterhin wesentlich besser, wenn man den nötigen Code gleich selber schreibt und andere Entwickler zur Mitarbeit bewegt. Insofern ist es oft auch schlicht wichtig, dass die Distribution dem nicht im Weg steht. Deswegen haben wir auch die PPAs, über die Entwickler ihre eigenen Pakete anbieten können, seien das modifizierte Versionen bestehender Ubuntu-Pakete oder komplett neue Entwicklungen. Der Grundgedanke dabei ist: Wenn wer eine Idee hat, soll er sie einfach umsetzen können. Man muss niemanden um Erlaubnis fragen, man muss nicht warten. Einfach das Paket erstellen, es publizieren und Benutzer zum Einsatz bewegen.

derStandard.at: Aber nicht jeder ist dazu befähigt, in dieser Form beizutragen, durchforstet man die Liste also regelmäßig nach interessanten Ideen?

Shuttleworth: Was die Top-gereihten Einträge anbelangt - Ja. So sind wir etwa beim Ubuntu Summit in Prag mal genauer durch die Liste gegangen.

Aber es gibt auch eine Vielzahl von beeindruckenden Sachen, die aus der Community kommen und nicht auf der Liste stehen, etwa Wubi, mittels dessen Ubuntu innerhalb von Windows installiert werden kann. Das hätten wir wohl bei Canonical niemals in Betracht gezogen, aber jetzt gibt es das und es ist eine sehr hochqualitative Arbeit. Und es hat auch einen ziemlichen Einfluss auf die Community gehabt.

derStandard.at: Einer der beliebtesten Wünsche auf Ubuntustorm ist der nach einem neuen Default-Look. Dieser hätte eigentlich mit Hardy kommen sollen, warum hat das nicht geklappt?

Shuttleworth: Nun die LTS-Release stellt eigentlich den Abschluss des Entwicklungszyklus dar, insofern ist das wohl kein guter Zeitpunkt um den Look zu verändern. Seit kurzem testen wir nun ein dunkles Theme, das wird zwar nicht Default für die fertige Release bleiben, derzeit ist es das aber, um Feedback zu bekommen. Und Feedback haben wir tatsächlich eine Menge bekommen, etwa in der Form "Oh mein Gott, das wird der Default-Look und er ist dunkel!". Aber dunkle Themes sind ziemlich nützlich für einzelne Anwendungen und für Leute, die sich auf diese Programme konzentrieren, auf Content-orientierte Anwendungen.

Ich würde wirklich sehr gerne einen frischen Look haben, am besten einer, der in Zusammenarbeit mit der Community entsteht, aber wir haben bisher noch nicht herausgefunden, wie man Artwork in einem Community-Prozess entwickeln kann. Grafisches Design braucht eine einheitliche Führung, und wie man diese klare Richtung mit Community-Beteiligung vereinbart, haben wir noch nicht herausbekommen.

derStandard.at: Linux-Distributionen neigen dazu ihre Software recht stark zu "branden", beginnend von Splash-Screens bis hin zu einzelnen Icons. Wäre es hier nicht besser sich näher am Default-GNOME-Look zu halten, anstatt alles mit den eigenen Farben zu versehen?

Shuttleworth: "Hübsch" ist in einer sehr realen Weise die Zukunft, man möchte etwas mit den eigenen Freunden teilen, das auch eine gewisses Erlebnis vermittelt. Kunst und Design sind ein sehr starker Teil dieses Erlebnisses. Ich würde es gerne sehen, dass wir in dieser Hinsicht bessere Arbeit abliefern, nicht nur in Ubuntu sondern auch bei freier Software im Allgemeinen. Ich denke Apple hat hier durchaus einen Punkt, wenn sie sagen, dass man Designer die User Experience entwickeln lassen soll.

derStandard.at: Vor einiger Zeit haben Sie eine starke Zusammenarbeit mit Sun angekündigt, unter anderem sollte Ubuntu von Sun offiziell zertifiziert werden. Das ist nicht passiert, was ist also aus der Sun-Partnerschaft geworden?

Shuttleworth: Ja, wir wurden nicht zertifiziert, das stimmt. Wir haben eine Portierung auf SPARC-Prozessoren vorgenommen, die wir für den Dapper-Zyklus unterstützt haben. Wir haben dann die Zusammenarbeit ausgebaut und sichergestellt, dass Ubuntu allgemein gut auf der Sun-Hardware läuft, x86 ist dabei immer wichtiger geworden. Grundsätzlich denke ich,wenn man Linux auf SPARC laufen lassen will, dann macht man das nur, wenn man sich selbst supporten kann. Und wer wirklich Support braucht, der verwendet auf SPARC ohnehin Solaris. Insofern war das jetzt auch nicht die große wirtschaftliche Chance für uns, aber es war trotzdem ein sehr wichtiger Schritt in unserer Beziehung zu Sun. Momentan ist aber x86 unser Fokus in der Zusammenarbeit mit Sun.

Der zweite Schwerpunkt dreht sich um Java, hier hat Sun durch die Freigabe als Open Source wirklich viel weiter gebracht. Als Konsequenz daraus könnte es durchaus sein, dass Java in Intrepid [der kommenden Ubuntu-Release, Anm. Red] im Main-Repository landet, dank der gemeinsamen Arbeit um das OpenJDK zertifiziert zu bekommen, so dass es nicht nur ein "echtes" Java ist, sondern auch optimal zu Ubuntu passt. Insofern denke ich, dass unsere Arbeit mit Sun mittlerweile vielleicht weniger sichtbar aber auch wesentlich breiter gestreut ist.

derStandard.at: Wir danken für das Gespräch.

(Andreas Proschofsky, derStandard.at, 14.07.08)