Linz - Rund 30.000 Menschen sind zwischen 1940 und 1944 im
Schloss Hartheim in Oberösterreich der nationalsozialistischen
Euthanasiepolitik zum Opfer gefallen. Lange Zeit blieben ihre Namen
und Schicksale unbekannt, in den vergangenen Jahren machte die
Forschung aber große Fortschritte. Die Ergebnisse sind im Buch
"Tötungsanstalt Hartheim" gesammelt, dessen zweite, völlig neu
überarbeitete Auflage im Landesarchiv in Linz präsentiert
wurde.
Abläufe der "Aktion T4" fast lückenlos rekonstruiert
Die geschichtliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen
Vernichtungsaktionen an kranken, behinderten und anderen als
"lebensunwert" klassifizierten Menschen, ist schwierig. Denn die
Euthanasieprogramme wurden streng geheim gehalten, die Mörder haben
ihre Spuren systematisch verwischt. Nun ist es erstmals gelungen, die
Abläufe der "Aktion T4" fast lückenlos zu rekonstruieren sowie Opfer
und Täter zu identifizieren.
Gefälschte Dokumente
Die "Aktion T4" ist nach dem Berliner Sitz der
Euthanasie-Tarnorganisation in der Tiergartenstrasse 4 benannt.
Patienten aus psychiatrischen Anstalten und Insassen von Pflege- oder
Altersheimen wurden in eigenen Todesfabriken, zu denen auch Schloss
Hartheim zählte, durch Gas ermordet. Todesart und -ort wurden in den
Sterbedokumenten verfälscht.
Die Historikerin Brigitte Kepplinger stellte fest, dass die
Opferquoten der großen Heil- und Pflegeanstalten in der "Ostmark"
noch wesentlich höher waren als im "Altreich". Aus Bayern, Slowenien
und sogar dem Sudetengau wurden Menschen nach Hartheim gebracht.
Anhand von regionalen Studien erklärt das Buch auch die makabere
Transportlogistik der "Aktion T4".
Auch KZ-Insassen und Zwangsarbeiter Opfer
Nach dieser ersten Euthanasiewelle, der alleine in Hartheim rund
18.000 Menschen zum Opfer fielen, begannen die Nazis unter dem
Decknamen "14f13", auch KZ-Insassen und Zwangsarbeiter in den
Tötungsanstalten zu ermorden. Florian Schwanninger berichtet in dem
Buch über den noch wenig erforschten Abschnitt der Geschichte, der in
Hartheim weitere 12.000 Menschen das Leben kostete.
24.000 Tote identifiziert
Die Namen der Opfer blieben lange Zeit unbekannt. 1998 begann
Gerhart Marckhgott mit dem "Opferbuch Hartheim". Heute hat die
Dokumentationsstelle der Gedenkstätte in ihrer Datenbank rund 24.000
der insgesamt 30.000 Toten identifiziert. Archive von Anstalten des
ehemaligen Sudetengaus könnten weitere Lücken schließen. Dazu läuft
derzeit ein EU-Projekt.
Mitwissen
Ein weiteres Kapitel des Buches beschäftigt sich mit der Frage,
wieweit diese Tötungsmaschinerie allgemein bekannt war. Irene Leitner
dokumentiert in ihrem Beitrag das Wissens um die Euthanasiemorde in
der Bevölkerung und den daraus erwachsenden Widerstand. (APA)
Wissens-Blogs
Nazi-Euthanasiepolitik neu aufgerollt
30.000 Tote allein im Schloss Hartheim: Buch über Opfer der Tötungsmaschinerie schildert Schicksale der "lebensunwerten Leben"