Der Schock der Regierungsbildung habe nicht nur eine falsche Gleichsetzung von Staat und Regierung, von Opposition und Widerstand ausgelöst, sondern gerade im Kulturbereich auch "Nötigung zur falschen Solidarität", meint Hans Hurch :
Die Eröffnungsrede des Viennale-Direktors im Wortlaut...*
Aus dem antiken Rom ist der Spruch des Satirikers Juvenal überliefert, es sei schwer, keine Satire zu schreiben. Heute kann man als öffentlicher Mensch in Österreich nur sagen: Es ist schwer, keine politische Rede zu halten. Es herrscht in der Tat in der österreichischen Öffentlichkeit der Druck, sich positionieren zu müssen. Bist du dafür oder bist du dagegen? Die Fragenden wollen nicht den anderen kennen lernen, sie wollen seine Haltung wissen. Dagegen wäre wenig einzuwenden, würde nicht das Interesse an der Person durch jenes an der Position ersetzt. Und würde dieser Ersatz nicht an eine der unseligsten Traditionen der kunstpolitischen Öffentlichkeit erinnern, an den Zwang zur Solidarität. Die Zwangssolidarität stellt geradezu das Gegenteil von echter Solidarität dar. Sie verlangt die Solidarisierung mit den Äußerungen eines Menschen, weil der zu einer angenommenen Gesinnungsgemeinschaft gehört. Diese erpresste Solidarität zählt vermutlich nicht nur im Milieu der Kultur zu den Gründen für den Niedergang jenes Österreich, in dem der Eindruck herrschte, es sei alles bereits irgendwie ausgemacht und abgemacht. In der Tat vermittelte die Opposition oft den gleichen Eindruck: Die Zugehörigkeit zur Gruppe oder zur Clique entschied, und nicht das Werk. Mehr als einmal stand diese Zugehörigkeit der Bildung eines eigenständigen Urteils im Weg. Mehr als einmal verhinderte diese Nötigung zur falschen Solidarität die Entstehung echter oppositioneller Haltung; wo diese ohne Kritik nicht denkbar ist, meinte jene mit dem teilweisen Verzicht auf Kritik Opposition erst zu ermöglichen. Seltsame Verwirrung Ich rede noch immer von Kunst und Kultur und den darin immer wieder eingeforderten Gemeinschaften. Es war geradezu die logische Fortsetzung dieser Verwirrung von Kritik und Zugehörigkeit, dass es nach der österreichischen Wende zu allerhand Irrungen und Wirrungen kam. In ersten Aufwallungen wurde "dieser Staat" mit "dieser Regierung" gleichgesetzt. Auch und gerade in der Kultur ist es nach der Wende zu seltsam vermischten Auffassungen von Staat und Regierung gekommen, als gäbe es keine Gewaltenteilung und als gäbe es nicht ein staatsbürgerliches Selbstbewusstsein, das sich Regierung und Verwaltung gegenüber zu behaupten weiß, ja, als wäre schlichte Opposition bereits Widerstand. Bekanntlich hat aber die Regierung den Staat zu verwalten, und ob sich jemand mit seiner Regierung identifiziert oder nicht, ändert nichts an seinen Ansprüchen gegen den Staat - solange der Staat demokratischer Rechtsstaat bleibt. Eine diesbezügliche Entwicklung, nämlich eine Entwirrung der österreichisch verfilzten Zustände kann nur einen staatsbürgerlichen Fortschritt bedeuten. Und zwar, um ein mögliches Missverständnis auszuschließen, nur insofern, als unter ihr eine Fortsetzung der falschen Idylle nicht mehr infrage kommt. Die Entwicklung von der pseudosolidarischen Zwangsgemeinschaft zur artikulierten Gegnerschaft, die Entwicklung zum Citoyen kann höchstens eine Folge, aber kein Verdienst dieser neuen Regierung sein. Es muss jedoch immer wieder festgehalten werden, dass die Aufnahme der FPÖ in diese neue Regierung, also die Wende vom Jänner dieses Jahres, Österreich in eine Art Schockzustand versetzte, und nicht nur Österreich, sondern darüber hinaus ganz Europa und Teile der westlichen Welt. Österreich hat sich isoliert, es hat die symbolische Ordnung der Union verletzt und gegen ihren Gründungskonsens verstoßen, als es eine Partei in die Regierung aufnahm, deren Verhältnis zu Nationalsozialismus und Rechtsextremismus fragwürdig oszilliert. Andererseits verhält sich Österreich den neuen Beitrittsländern gegenüber doppelzüngig: Man spielt sich paternalistisch als Brückenbauer auf und droht zugleich mit arroganten Forderungen und Einmischungen, die Brücken abzubrechen. In den Beitrittsländern ist dieses Spiel durchschaut, und in der EU hat man die Sanktionen nicht deshalb aufgehoben, weil man sie als unberechtigt betrachtet, sondern weil man sie - wie der Weisenbericht ausdrücklich vermerkt - für "kontraproduktiv" hält. Es steht also zu befürchten, dass Österreich sich im Westen wie im Osten isoliert hat. Zugleich ist die Auseinandersetzung im Inneren von demokratischer Reife weit entfernt. Die Infragestellung und Delegitimierung des Sozialen, die der Austro-Thatcherismus im Sinn hat, geht einher mit einer Verschärfung des Meinungsklimas. Ein autonomer Ort In diesen Verwirrungen ist es notwendig, den öffentlich vorgesehenen und subventionierten Raum von Kunst genau zu bestimmen. Dieser Ort liegt im Fall eines Festivals wie der Viennale nicht auf einer Ebene mit dem politischen; es gibt allerdings Überschneidungen. Die wichtigste scheint mir zu sein, das Festival als einen autonomen Ort zu begreifen, österreichisch insofern, als er hier in diesem Land gelegen ist, aber unösterreichisch insofern, als er jene Beschränkungen durchbrechen kann, die ihm die politische Lage auferlegen. Und vor allem auch, als er mit vorschnellen und erpressten Zurechnungen nichts zu tun hat. Anders ausgedrückt: Die Viennale verstand sich immer und versteht sich heuer geradezu programmatisch als internationales Filmfestival in Wien. Kunst, um ein berühmtes Wort Adornos zu zitieren, "Kunst heißt nicht: Alternativen pointieren, sondern, durch nichts anderes als ihre Gestalt, dem Weltlauf widerstehen, der den Menschen immerzu die Pistole auf die Brust setzt." Zwischen den Stühlen In diesem Sinn geht es der Viennale nicht um künstlerische Gegenbehauptungen etwa gegen ein sich ausbreitendes politisches Milieu der Lüge, der Halbwahrheit und des Geschwätzes. Dafür ist tatsächlich die politische Öffentlichkeit zuständig. Oder manchmal der Witz. Ein Witz, wie ihn etwa der Essayist Franz Schuh in einem frühen Text über die Nachkriegszeit machte: "Der Krieg ist vorüber, die Nazis sind ruhiger geworden, und nur mehr wenig steht ihnen im Weg." Es geht hier, wollte ich nur sagen, nicht zuerst um Politik oder um Zeitgeschichte. Es geht vielmehr um Selbstbehauptungen des Kinos, um die Verteidigung einer Form gegen das Vergessen, gegen die Ungerechtigkeit, die Feigheit und alle falsche Komplizenschaft. Wenn sich die Viennale inmitten dieser Filme und inmitten der politischen Lage überhaupt positionieren will, dann entschlossen zwischen den Sesseln. Dort können zum einen die Erinnerungen ungehemmt schweifen, zum anderen kann die verengte aktuelle Lage aus anderen Perspektiven neue Erhellungen erfahren, und zum Dritten kann das beschriebene, erzwungene Engagement durch ein Engagement ersetzt werden, für das einzutreten sich lohnt. Nehmen Sie die Viennale als eine Reihe filmischer Argumente für jene Offenheit, welche die Enge unserer politischen Lage überwindet. Oder, die Ahnungen davon vermittelt, wie sie zu überwinden wäre. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 10. 2000)