STANDARD-Mitarbeiter Olaf Möller
Wien - Die McCarthysche Kommunistenjagd, die Umtriebe des House Committee on Un-American Activities (HCUA) und der American Legion sowie die daraus resultierende Schwarze Liste sind Themen, zu denen die Filmgeschichte gerne Phrasen drischt: Man spricht betroffen von Verrätern und Verratenen. Oft sieht man über die individuelle Tragik hinweg. Laut dem Autor und Produzenten Robert Adrian Scott - einem der damals verfemten Hollywood Ten - standen aufgrund der HCUA-Anhörungen 1947 und 1951/52 insgesamt 214 Filmschaffende auf der (immer inoffiziellen) Schwarzen Liste: 106 Autoren, 36 Darsteller, 11 Regisseure, 6 Musiker, 4 Produzenten, 4 Animationsfilmkünstler, 3 Tänzer, sowie 44 weitere Handwerker und Kreative. Tausende weitere Menschen wurden - auf einer Grauen Liste - kommunistischer Aktivitäten verdächtigt. Auf die Schwarze Liste wurde man gesetzt, wenn man sich dem HCUA widersetzte: durch die Weigerung, Fragen nach der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft bzw. der kommunistischen Partei zu beantworten, andere vermeintliche Kommunisten zu verraten bzw. gar nicht erst vor dem Ausschuss erschien. Auf die Graue Liste kam man, wenn man als politisch suspekt, als Kommunisten-Sympathisant galt: etwa weil man sich in der Gewerkschaftsarbeit betätigte, oder Mitglied antifaschistischer Vereinigungen wie der Hollywood Anti-Nazi League war, linke Publikationen wie People's World abonnierte oder darin gewürdigt wurde. Auf der Schwarzen Liste zu stehen bedeutete, dass man im Prinzip keinen Job in der Filmindustrie erhielt bzw. für seine Arbeit keinen Lohn zu erwarten hatte - man musste sich hinter Strohmännern und Pseudonymen verbergen. Meist wurden die Künstler ausbeutbar. Die Konsequenz für viele war die Emigration, bzw. die Wendung hin zu anderen Wirkungsbereichen. "Inkonsequente" Listen Graue Listen-Mitglieder hingegen durften weiter arbeiten - unter erschwerten Bedingungen. Von den Listen wurde man erst entfernt, wenn man zum "Friendly Witness" wurde: So wie die Regisseure Edward Dmytryk, Frank Tuttle, Elia Kazan und Robert Rossen oder die Autoren Clifford Odets, Budd Schulberg, Sylvia Richards und Richard Collins. Das alles klingt systematischer und vom Procedere stringenter, als es war. Tatsächlich befand sich auf der Schwarzen Liste eigentlich kein bedeutender, etablierter Filmschaffender. Selbst die Graue Liste hatte etwas Bereinigtes an sich: Der HCUA-Logik nach hätte z. B. jemand wie John Ford, in den 30ern einer der Helden der US-Linken, auf die Graue Liste gehört. Weshalb man bald eine Verharmlosung der Listen begann. Ein Überblick über die von Noel Burch und Thom Anderson kuratierte Viennale-Retrospektive Blacklisted - Movies by the Hollywood Blacklist Victims lässt diese Verharmlosung doppelt zynisch erscheinen, hält schematischer Geschichtsschreibung aber einiges an Ambivalenz entgegen: Abgesehen von Herbert J. Bibermans Salt of the Earth (1954; Buch: Michael Wilson) und Slaves (1969), Leo T. Hurwitz' und Paul Strands Native Land (1942; Kommentar: Ben Maddow) sowie Crisis (1939) entstanden die Werke der Retrospektive allesamt in Hollywoods Filmindustrie - wenn auch an ihren Rändern. Die einzige prestigeträchtige und weithin bekannte Produktion in der Auswahl ist William Wylers The Little Foxes (1941; Buch: Lillian Hellman, Dorothy Parker, Arthur Kober); der Rest sind Marginalien: meist B-Pictures oder Werkstücke aus Hollywood-Armenhäusern wie PRC oder Republic, dazwischen die eine oder andere kategoriensprengende Produktion, bei der man nicht so genau weiß, wie sie überhaupt entstehen konnte. Offenkundig ließen sich nur in einer Industrie, wo ständig produziert wird und der Lauf der Dinge die Dinge am Laufen hält, die nötigen Lücken und Brüche finden: So wie der wahre Kampf um die politische Seele der USA in den Druckmedien auf den Seiten der Pulp-Magazine ausgetragen wurde, musste der Kampf um die Bilder im Herzen ihrer Industrie gefochten werden. Keine der Produktionen ist im engeren Sinne "kommunistisch" - was wäre das überhaupt? Sie sind undogmatisch und stets idealistisch - Filme einer (so noch nicht existierenden) Bürgerrechtsbewegung: Verarbeitungen tief verwurzelter Ungerechtigkeiten in der US-Gesellschaft. Das Gros der Filme setzt sich mit Themen wie Rassismus und Xenophobie, der Ausbeutung des Arbeiters oder der Unterdrückung der Frau auseinander; einige wenige sind zeitpolitisch konkrete Interventionsfilme, d.h. hier im Allgemeinen Anti-Nazi-Agitation (anhand derer sich gut über den Zustand des US-amerikanischen Bewusstseins reflektieren ließe). Es ist ein unreines Kino, in dem verschiedenste Interessen - Aufklärung, Unterhaltung, Agititation - miteinander streiten: Der Klassenkampf findet in der Form statt. Was die Filme auszeichnet, ist ihr Wille zur Klärung des Blickes durch sinnstiftende Vergröberungen: Sie wollen Zusammenhänge klarmachen, Strukturen offenbaren, dem Zuschauer Verbundenheit mit seiner Geschichte, seinem Leben zu verleihen. Politik wird als eine individuelle Angelegenheit betrachtet, nicht als die des Staats. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 10. 2000)