STANDARD-Mitarbeiter Manfred Blumauer
Graz - Selten waren die Reaktionen des Publikums so eindeutig wie nach dieser Götterdämmerung , mit der die Grazer Oper die neue Saison eröffnete und zugleich die im Vorjahr begonnene Neuproduktion der Ring-Tetralogie abschloss: Zustimmung für Dirigent Ulf Schirmer, wütendes Gejohle gegen den Bühnenbildner-Regisseur Gisbert Jäkel (und Kostümbildnerin Anna Eiermann). Richard Wagner war musikalisch im Recht: Das will etwas heißen in einer Zeit, in der die Opernregie meist als Hauptsache betrachtet, die Musik dagegen im Palaver vernachlässigt wird. Es ist heute gar nicht mehr erforderlich, dass Regisseure die Partitur lesen können, vielleicht gar nicht wünschenswert. Sie sehen ihre Aufgabe darin, den Subtext zur Handlung zu entwerfen. Wozu? Wagner selbst hat zu seinen Dichtungen musikalische Subtexte erfunden, die Spielraum lassen, auch für szenische Interpretation. Der breite Erzählstrom seiner Musik, vermittelt durch die Semantik der Leitmotive, war an diesem Abend so präsent, dass mancher Schnickschnack auf der Bühne nur als störend empfunden wurde. Wagners Wort, er habe der Welt das unsichtbare Orchester gegeben, es bleibe ihm noch, die unsichtbare Bühne zu erfinden, kam einem wiederholt in den Sinn. Ein Ereignis, dass der berühmte Trauermarsch vor der mit einem schwarzen Vorhang verschlossenen Bühne erklingt. Schirmer spannte einen dynamischen Bogen von kammermusikalischer Feinheit bis zu gepanzerter Wucht. Und er nahm das Orchester der Grazer Philharmoniker stets zurück, wenn die Singstimmen es forderten. Diesmal sind an erster Stelle Mihoko Fujimura als musikalisch beflügelte Waltraute (zudem als erste Norne) und Hans Sisa als markant intonierender Hagen zu nennen. Der Norweger Björn Waag setzte seinen Bariton als Gunther gewinnend ein, war aber auch wieder als Alberich zu hören. George Gray ist als Siegfried kein strahlender Held, sondern ein Kraftlackl, ein Stemmer, der oben nicht immer die richtige Tonhöhe trifft. Gabriele Maria Ronge konnte an ihren Erfolg in Siegfried nicht anschließen; im Tremolo des Schlussgesangs klang ihr Sopran überanstrengt. Über die Regie nur so viel: Dass in der ersten Szene die Nornen das Seil nicht werfen, sondern an Lesepulten stehen, nimmt man neugierig hin. Hier ist Wagner beim Wort genommen: Während der ganzen Szene läuft der gesungene Text in Titeln über dem Bühnenportal, der immerhin die Fabel der Tetralogie rückschauend in nuce enthält. Das viel zitierte Regietheater bietet längst nicht mehr Interpretationen an, sondern in Aktion gesetzte Kommentare, auch ideologisch verbrämte zur Jetztzeit. Was aber als frischer Wind verkauft wird, ist oft schon abgestandene Luft. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 10. 2000)