Wien - Ein Kreisverkehr der Sinnsuche an der Wiener Staatsoper: Auf einer schräg angelegten Treppe schleppen sich die Massen mühselig dahin, begehren auf, leiden und klagen - beladen mit Koffern und mit letzten Fragen. Ein Karussell der Orientierungssuche gleichsam, in Gang gehalten vom Leben selbst. Über ihnen? Eine abgebrochene Leiter, die keine Verbindung zum Irdischen hat - auf ihr eine silbern schimmernde Gestalt: Gabriel, ziemlich unfreundlich, streng und unerbittlich. Vom gestrengen Engel (großartig Franz Hawlata) ist kein Rat zu erwarten. Den, der nie gelitten hat, kanzelt er ab. Den Aufrührerischen zeiht er der Kurzsichtigkeit. Dem Mönch wird dessen Eitelkeit vorgehalten. Nur der Sterbende (wunderbar minimalistisch Kirsten Dene) wird erhört - "wenn du nicht mehr klagst, bist du nah, dann ist dein Ich gelöscht", sagt Gabriel. Recht wenige gehen zu diesem Zeitpunkt schon im Kreis, es klärt sich die Szenerie, und zu abgehoben-ätherischen Klängen verlassen sie alle den Kreis - nun ganz in Weiß. Belebtes Spiel Der Kreis ist hier gut gewählt. Er ist eine Form ohne Anfang und ohne Ende. Das passt zu Schönbergs Jakobs-leiter, die auch kein Ende hat. Und passt auch zu den ewigen letzten Fragen, die sich im Kreise drehen. Und schließlich: Er passt vor allem zur Belebung dieses Oratoriums, das Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli behutsam szenisch belebt hat. Er beherrscht zweifellos die Kunst, Massen individuell zu zeichnen und Individuen etwas Archetypisches zu verleihen; und er traut auch dem von Dirigent Michael Boder sicher und nur abseits des Kammermusikalischen etwas zu derb umgesetzten Klangkosmos der Moderne. Das Oratorium in Szene zu setzen, war allerdings hier wohl die weniger heikle Aufgabe. Doch wie kommt man logisch von Schönberg zu Puccini? Unendlich schwer bis gar nicht. Beim Sprung von Gott- zu Geldsuche, vom Metaphysisch-Ernsten bei Schönberg zum Heiter-Derben bei Puccini und dessen Gianni Schicchi ist er denn auch würdevoll gescheitert. Insofern man erwartet, dass die Regie einen geheimen Zusammenhang der Werke aufzeigt. Die Leitmotive Aus dem Unmöglichen hat er allerdings zweifellos das Beste gemacht, hat Treppe und Koffer als optische Leitmotive beibehalten, ja bei Puccini gar ins Monströse extrapoliert: So plumpst Buoso Donati, um dessen Erbe geschlichen und gezankt wird, effektvoll aus einem haushohen Koffer heraus - und beginnen darf ein elegantes Spaßstück, bei dem uns Betroffenheits-Etüden und virtuose Heuchelei-Chöre die Zeit vertreiben. Marelli entwirft ein schönes Porträt des menschlichen Materialismus. Sind sie doch alle kleine Aasgeier, die Erbsüchtigen, so bleiben sie doch jederzeit sympathisch. Der Fettsack ebenso wie die Dame mit dem Dreifachkinn. Marelli führt die Figuren vor, zerstört sie allerdings nicht. Es vollzieht sich eine liebevolle Entlarvung, die von der Leichtigkeit der Darstellung lebt. Der Humor kommt ohne Holzhammer aus, und rasch vergeht die Zeit. Kompliment an das gesamte Ensemble. Der Mann, der sie alle leimt und schließlich abkassiert, Herr Schicchi, wird beim virtuosen Leo Nucci zum eleganten Schlitzohr, dessen Gewissensbisse sich in Grenzen halten. Wie die anderen Personen hat auch diese etwas von einer Comicsfigur, nur seine Tochter Lauretta ist das liebe Mädchen von nebenan. Angelika Kirchschlager zeichnet es quirlig und detailverliebt und bietet auch gesanglich eine solide Leistung, wobei da mehr möglich gewesen wäre. Hörenswert auch Juan Diego Florenz als ihr Rinuccio. Michael Boder macht auch bei Puccini eine solide Figur; er vermeidet allzu Sentimentales, lässt aber erahnen, dass manches in dieser Musik gar nicht so komisch ist. Es ist hier ein Puccini zu hören, der die Schwächen seiner Figuren mit milder Melancholie betrachtet und zur Kenntnis nimmt. Dass Boder im expressiven Bereich der durchkomponierten Partitur etwas zu viel des Guten bietet und die Sänger bisweilen zudeckt, soll allerdings auch Erwähnung finden. War das nun sehr mutig, sich an die szenische Erstaufführung der Jakobsleiter zu wagen? In dieser Konstellation nicht. Mutig wäre gewesen, zumindest die Reihenfolge zu vertauschen, Schönberg an den Schluss zu setzten. Noch mutiger wäre es gewesen, die Jakobsleiter mit einem anderen Schönberg-Werk zu koppeln. So bleibt der Eindruck eines kuriosen Pärchens und die Erkenntnis, dass selbst die klassische Moderne romantische Krücken braucht, um in Wien zu überleben. Den Leuten hat es gefallen. Das eine Buh kam, so man an die Wiedergeburt glaubt, sicher von Schönberg selbst. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.10.2000, Seite 15)