Die Regierungsparteien können mit dem Ergebnis des 13. Juni zufrieden sein: SPÖ und ÖVP haben zugelegt. Die Sozialdemokraten haben den psychologischen Schock von 1996 überwunden - sie sind wieder Nummer eins, auch bei den Wahlen ins europäische Parlament. Und dieser Erfolg der SPÖ hat die Befindlichkeit der Volkspartei nicht wirklich berührt: Die ÖVP kann sich trösten, nochmals zugelegt zu haben. Die FPÖ ist deutlich zurückgefallen - man kann wieder von zwei Großparteien sprechen.

Doch gerade der Erfolg der SPÖ ist voll von Widersprüchlichkeiten. Denn was nützt es der Sozialdemokratie, wenn der 13. Juni tatsächlich nur der Probelauf für den 3. Oktober war und die SPÖ bei der Nationalratswahl eindeutig als Siegerin hervorgeht; was hilft es ihr, wenn sie vielleicht sogar um die 40 Prozent der Stimmen gewinnt - aber keine regierungsfähige Mehrheit zustande bringt?

Eine in ihrem Selbstbewußtsein gesicherte ÖVP kann aber von Offerten aus dem Süden des Landes in Versuchung geführt werden. Haider wird, falls sich am 3. Oktober das Grundmuster des 13. Juni - Stärkung beider Regierungsparteien und der Grünen, Verluste der FPÖ und Ausscheiden des LiF - wiederholt, der Volkspartei wohl ein moderates Angebot machen: Die Volkspartei stellt den Kanzler und die wichtigsten Schlüsselminister, Haider bleibt in Kärnten, und die gar nicht so zahlreichen FPÖ-Ressorts werden von "Moderaten" `a la Scheibner und Riess-Passer besetzt.

Süße Verlockung

Ein solches Angebot ist zwar keines, das die ÖVP nicht ablehnen könnte. Aber schwierig wäre es schon, das Kanzleramt auszuschlagen; vor allem dann, wenn das alles so versüßt angeboten wird - die Volkspartei könnte ja sich und der Welt einzureden versuchen, daß sie nicht mit der Haider-FPÖ, sondern mit einer ganz anderen koaliert; und daß die sensible Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik ausschließlich in ihren, in den Händen der ÖVP bleibt. Und wenn dann, als Resultat des Angebots aus Klagenfurt, ein siegreicher Klima ohne Mehrheit dasteht - kann dann wirklich jemand erwarten, daß gerade Thomas Klestil eine im Raum stehende VP-FP-Mehrheit blockieren wird?

Die SPÖ wird aus dem Ergebnis des 13. Juni die Schlußfolgerung ziehen, daß es sich auszahlt, die Neutralitätskarte zu spielen. Und sie wird dies wieder und wieder tun - jedenfalls bis zum 3. Oktober. Doch diese zunächst in sich konsistente Strategie der scharfen Abgrenzung gegenüber dem Koalitionspartner kann einen hohen Preis haben: Es werden Positionen zementiert, von denen man nach dem 3. Oktober - wenn es für die SPÖ darum gehen muß, mit der Volkspartei einen Konsens auch in der Außen- und Sicherheitspolitik zu finden - so leicht nicht mehr wegkommt. Und wenn dieses Kalkül dann auch noch in Rechnung stellen muß, daß die SPÖ keine, die ÖVP aber sehr wohl eine Alternative zur gegenwärtigen Koalition hat, dann wird das Zweischneidige der zunächst so überzeugenden Erfolgsstrategie der SPÖ deutlich.

Der auch und wesentlich auf dem Neutralitätsthema beruhende Wahlerfolg der SPÖ vom 13. Juni könnte sich dann als Pyrrhus-Sieg herausstellen - etwas, womit eigentlich die Volkspartei mehr Erfahrungen hat: Man gewinnt eine Wahl minderer Bedeutung, um dann die wirklich wichtige Auseinandersetzung strategisch zu verlieren. Das hat die ÖVP 1986 erlebt. Die SPÖ hätte eigentlich eine andere Erfahrung: Sie (Kreisky) hat im November 1978 eine Volksabstimmung verloren, nur um im April 1979 den größten Wahlerfolg ihrer Geschichte einzufahren.

Daß in diesen Tagen diese und ähnliche Überlegungen im Zentrum der Analysen aller österreichischer Parteien stehen, zeigt freilich das Dilemma der Europawahlen und erklärt auch die sensationell geringe Wahlbeteiligung: Die Wahl von 21 österreichischen Abgeordneten ins EU-Parlament wird nicht als eigentliches, sondern nur als virtuelles Ereignis wahrgenommen; als eine Art Computer-Simulation, die Rückschlüsse auf das "wahre" Leben geben soll. Und dieses besteht in der Verteilung nationaler Macht.

Dr. Anton Pelinka ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck.