Barcelona/Reading - Recht bekannt ist er nicht - dafür aber nach Meinung von Evolutionsforschern umso interessanter: Der Amphioxus weist einen genetischen Reichtum auf, der auch auf die menschliche Evolution ein neues Licht wirft. Der nur einige Zentimeter lange Amphioxus (Branchiostoma) lebt auf sandigen Meeresböden von Florida bis China und ernährt sich von im Wasser treibenden Partikeln. Oberflächlich betrachtet ähnelt er einem Fisch, hat allerdings weder Flossen noch Schuppen - und auch keine Augen und Ohren. Anstelle einer Wirbelsäule hat er eine flexible Leiste, genannt "Notochord", wie sie auch die Embryos von Wirbeltieren vor der eigentlichen Knochenbildung aufweisen. Cousin Der Amphioxus ist der engste überlebende Verwandte der Wirbeltiere und solcherart geeignet, die Frühzeit der Wirbeltier-Evolution (inklusive der des Menschen) zu erforschen. Während des vergangenen Jahrzehnts hat sich nämlich abgezeichnet, dass alle Tiere einen Cluster von "Hox-Genen" aufweisen, welche das Muster für die Anterior-Posterior-Körperachse (also von vorne nach hinten) festlegen. Die Anordnung dieser Gene im Hox-Cluster spiegelt die Anordnung der Körperregionen, für die sie zuständig sind, wider. Vorne angeordnete Gene bestimmen die vorderen Partien, zentral angeordnete die Strukturen in der Körpermitte und hinten angeordnete die hinteren Regionen. Jedes Wirbeltier hat zwischen drei und acht Clustern. Diese ähneln einander, weil sie im Laufe der Evolution einfach dupliziert wurden. Jeder Cluster wiederum weist eine Auswahl der 13 bekannten Hox-Gene auf - niemals aber alle! Die Maus zum Beispiel hat vier Cluster, aber nur 39 statt maximal 52 möglichen Gen-Muster, weil einige davon im Verlauf der Evolution verloren gegangen sind. Die kleine große Ausnahme Und hier kommt der Amphioxus ins Spiel: als einziges bekanntes Tier durchbricht er nämlich diese Regel. Jordi Garcia-Fernàndez von der Universität in Barcelona und Peter W. H. Holland von der Universität in Reading haben den genetischen Aufbau des Amphioxus untersucht und dabei Erstaunliches entdeckt: ein 14. Hox-Gen. Schon 1994 hatten sie das Tier untersucht und aus dem Vorhandensein einer kompletten Hox-Gen-Palette geschlossen, dass der Amphioxus als eine Art Blaupause für die Wirbeltiere bettrachtet werden kann. Da er über die komplette Palette zu verfügen scheint, kann er gewissermaßen als Original betrachtet werden, während die Wirbeltiere mit ihren unvollständigen Gen-Mustern die Kopien mit entsprechendem "Kopierverlust" darstellen. Das nun bei weiteren Forschungen entdeckte 14. Hox-Gen freilich verhilft dem Amphioxus zu einer einzigartigen Position - und macht ihn zu einem der - nach ihrem Potenzial gerechnet - genetisch reichsten Tiere überhaupt. (Nature/red)