Graz - Eine Warntafel vor dem Eingang in die Waagner-Biró-Halle lässt uns gleichermaßen hoffen und zittern: "Dies ist keine normale Vorstellung." - "Es kann zum direkten Kontakt mit den Künstlern kommen." - "Der Standort soll gewechselt werden." - "Man kann ins Geschehen verwickelt werden." - "Nicht Panik bekommen!" - "Den Anweisungen ist Folge zu leisten." - "Laserprojektionen nicht direkt anschauen." - "Herzleidenden, Schwangeren und Gebrechlichen wird vom Besuch abgeraten." Nach der Hallen-Stehpartie bei der ersten großen Produktion des steirischen herbstes können wir jedoch beruhigen: Die einzige Gefahr, die bei der Musik-Theater-Performance White Foam (weißer Schaum) droht, ist das Einschlummern im Stehen. Zu warnen sind nur jene, die keine Unterhosen tragen. Wenn sie Pech haben, wird ihr Spleen durch die Zwangsentkleidung durch die Künstler von La Fura dels Baus aufgedeckt werden. Jener Herr, den sie bei der Uraufführung dieses multimedialen Schlaftrunks, der in 13 Stationen auf eine lange Reise durch den Sturm mitnehmen will, herzhaft in die Mangel nahmen, trug welche. Unserer Recherche nach war er aber kein Mitglied von Fura , auch wenn er gekonnt um seine Unterwäsche kämpfe. Dass er so lebendig wirke, mag daher rühren, dass es ihm bei dieser Selbstrettung an Routine mangelte. Wohl deshalb gebrach es den im mit Trockeneisnebel und Bildprojektionen verzierten Raum Herumschlendernden für einen Augenblick auch nicht an Konzentration. Ansonsten aber konnte diese als Geschichte eines Lebens (von Geburt bis Tod?) verstehbare Ansammlung archaisch-aktionistischer Momentaufnahmen - in Ermangelung einer wirklichen Dramaturgie - schwer bei der Stange halten: Man steht auf einer Kunstbaustelle, auf der eher langsam gearbeitet wird, ist bei einer Messe der Rituale, für die die Fura- Fabrik einige Versatzstücke aus ihrem Repertoire freigegeben hat. Mitten im Raum, auf einer Hebebühne die singende Göttin Aphrodite (tadellos Brigitte Pinter) - um sie herum routinierte Archaik: Kreaturen lernen gehen, ziehen sich an Zuhörern hoch; vier aneinander gegurtete Wesen laufen gierig herum, später wird eine Galeere durch den Raum geschleppt. Zuzüglich Feuerpeitschenummer und Trapezakt wird das Ganze zu einem eher trägen Performance-Zirkus, auf den sich Komponist Wolfgang Mitterer leider zu sehr verlassen hat. In dessen Musik verschmelzen Improvisation und Komposition gemeinhin zu einem spannenden Rückblick auf diverse Musikhistorien. Und auch wenn der Materialsammler und -verarbeiter auch hier auf Free Jazz, Sound-Poesie, klassisch-romantisches Zitat, delikat abgehobene Vokalismen und Medienwortmüll zurückgreift, wirkt seine Komposition nur als eine Art fünfte Mauer der Wagner-Biró-Halle. Ob sie allein lebensfähig ist, war schwer zu sagen und wäre (nach Überarbeitung) einen Versuch wert. In Kombination mit dem Theaterbildern wirkt sie einfach zu dienstbar, als wollte sie sich nicht behaupten, vielmehr nur als atmosphärisches Parfum der flauen Szenerie fungieren. Am Schluss werden alle Zuschauer zusammengepfercht, Vorhangschleier gehen hoch und zu sphärischen Klängen wähnt man sich auf einem Schiff, auf dem es übel riecht. Jenseits, Arche Noah, Gaskammer? Wie auch immer. Ein Augenblick immerhin mit Eindringlichkeit. Der Rest aber war einfach nichts. Meisterwerke sehen anders aus. P. S. Intendant Peter Oswald verbot in der Zwischenzeit die Zwangsentkleidung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 10. 2000)