Natürlich überwiegt am Tag nach Ablauf des "Ultimatums" im Nahen Osten erst einmal die Erleichterung, dass den Verhandlungen noch einmal eine Chance gegeben werden soll. Optimismus kann trotzdem nicht wirklich aufkommen, zu verfahren scheint die Situation. Die ägyptische Regierung - die sich noch nie gedrückt hat - weigert sich, unter den derzeitigen Umständen den von den Amerikanern vorgeschlagenen Nahostgipfel in Sharm el-Sheikh zu organisieren. Man könne seine guten Dienste nicht unter dem Druck von Ultimaten, Drohungen und Militäraktionen Israels anbieten, lautet die Begründung, der man Sinn nicht absprechen kann. Aus Israel kommt Widersprüchliches: einerseits die Forderung, dass die gewalttätigen Demonstrationen in den Palästinensergebieten beendet sein müssen, bevor man sich zusammensetzt, andererseits, dass das Ende der Gewalt in den Palästinensergebieten das Ziel des Gipfels sein müsse. Hoffentlich ist damit die Gewalt beider Seiten gemeint - deren "Effektivität" und Folgen man nun einmal nicht vergleichen kann, gleich, wer damit angefangen hat. Am Dienstagvormittag lief in den Redaktionen eine ziemlich unauffällige Agenturmeldung ein, wonach (laut einem Fatah-Kader) Yassir Arafat seine Sicherheitskräfte aufgefordert habe, für Ruhe zu sorgen. Man wird sehen. Immer häufiger äußern sowohl Arafat-Kritiker als auch Anhänger Zweifel, wie sehr er noch Herr der Lage ist. Typisch sind Demonstrationen in Kuwait - unter dem Motto "Juden, die Armee Muhammads kommt zurück" -, die sich gegen Israel und Arafat, den Verräter, gleichermaßen richten. Längst haben auf arabischer Seite andere Kräfte das Sagen: die in den letzten Jahren in die Defensive gedrängten Islamisten. Vielleicht dämmert es jetzt manchem langsam, wieso Arafat nicht so ohne weiteres auf die Souveränität über die islamischen Stätten in Jerusalem verzichten konnte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.10.2000)