Wien - Vom Menschen freigesetzte Hormone und hormonell wirksame Stoffe haben teilweise fatale Auswirkungen auf Tiere und Menschen. Soweit sind sich die meisten Forscher einig. Wenn es aber um die Frage geht, wieviel von welchem Stoff welche Schädigungen verursacht, folgt meist ein tiefer Seufzer und die Aussage: "Darüber wissen wir noch nicht genug". Im Rahmen des heuer gestarteten Schwerpunktprojekts ARCEM (Austria Research Cooperation on Endocrine Modulators) treffen sich heute, Donnerstag, Wissenschafter aus Großbritannien, den USA, Deutschland, Dänemark und Österreich zu einem Erfahrungsaustausch. Organisiert wird der Workshop von den Austrian Research Centers Seibersdorf (ARCS). Die Erforschung von hormonell wirksamen Stoffen in der Umwelt - der Fachausdruck lautet endocrine disruptors - ist eine relativ junge Wissenschaft. Erst als man in den Industrieländern die großen Probleme mit schäumenden Flüssen und erbsengrünen Seen im Griff hatte und halbwegs flächendeckend Kläranlagen arbeiteten, stellte man fest, dass in den nun scheinbar sauberen Gewässern nach wie vor unerklärliche und unliebsame Phänomene auftraten, sagte Monika Schönerklee von den ARCS. Fallbeispiele So beobachteten Biologen im Rhein, dass plötzlich 70 Prozent einer Fischpopulation aus Weibchen bestand oder Vögel reihenweise Eier mit unbrauchbar dünnen Schalen produzierten. Erst durch modernste Untersuchungsmethoden konnten Vermutungen erhärtet werden, dass hier möglicherweise Umwelthormone im Spiel sind. Dass Problem dabei ist, dass diese Stoffe bereits in Konzentrationen von Milliardstel Gramm pro Liter und weniger wirksam sind und damit die Analytiker vor ernsthafte Probleme stellen. Die Herkunft dieser Stoffe, die wie körpereigene Hormone auf Organismen wirken, ist vielfältig. Teilweise stammen sie aus der Industrie, der Pharmaindustrie, aber auch Menschen und Tiere selbst entlassen "endocrine disruptors" über ihre Ausscheidungen in die Umwelt. In großen Mengen sogar, wenn sie Hormonpräparate zu sich nehmen. Auch die Auswirkungen sind vielfältig. So machen manche Stoffe erwachsenen Individuen scheinbar nichts, herkömmliche Tests bescheinigen daher "keine Wirkung". Tatsächlich können aber noch nach Generationen Auswirkungen auf die Nachkommen zu beobachten sein. Dadurch ist es auch möglich, dass sich das Gefüge von ganzen Lebensräumen verändert. In aufwändigen Verfahren müssen daher für jede einzelne Substanz alle möglichen Wirkungen überprüft werden. 70.000 Abfallstoffe Derzeit schätzen die Forscher der vom Menschen in die Umwelt entlassenen Stoffe auf 70.000. Davon stehen 300 im Verdacht, hormonell wirksam zu sein. 150 davon haben die Chemiker, Biologen und Mediziner bisher näher untersucht, aber auch hier sind die Erkenntnisse erst lückenhaft. Um alle Auswirkungen eines einzigen Stoffes zu erforschen, dauert es selbst bei Zusammenarbeit zahlreicher Labors Jahre, bis halbwegs gesicherte Ergebnisse vorliegen. In Österreich wurde zu diesem Zweck der vom Umweltministerium und den Ländern finanzierte Forschungsschwerpunkt ARCEM initiiert, an dem zwölf Forschungseinrichtungen beteiligt sind. Dabei konzentriert man sich auf so genannte "Hot Spots", etwa Kläranlagen. "Hier kommen viele in Frage kommende Substanzen zusammen", berichtete Britta Grillitsch von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Das Ziel ist, nicht nur alle möglichen Wirkungen eines Stoffes zu ergründen, sondern auch herauszufinden, wie man Kläranlagen gestalten muss, damit die Substanz möglichst effektiv abgebaut wird. Eine Zusammenarbeit mit Abwassertechnikern ist daher von besonderer Bedeutung. Die vermuteten, aber vielfach noch nicht erschöpfend untersuchten Auswirkungen von endocrine disruptors auf Menschen studieren Mediziner im Rahmen von ARCEM. So ist etwa bekannt, dass die Brustkrebs-Raten bei Frauen und die Prostatakrebs bei den Männern ansteigen. Als Ursachen vermuten die Wissenschafter unter anderem hormonell wirksame Stoffe in der Umwelt, von Beweisen kann man allerdings noch kaum sprechen. (APA)