Marianne Birthler tritt ein schwieriges Erbe an. Das weiß sie selbst. Selten war eine staatliche Institution so eng mit einer einzelnen Person verbunden wie das Amt zur Aufarbeitung der Hinterlassenschaft der DDR-Staatssicherheit mit Joachim Gauck. Die Behörde, die die 180 Kilometer Stasi-Akten verwaltet, trägt seinen Namen - und wird es auch nach der am Mittwoch erfolgten Amtsübergabe tun, davon ist seine Nachfolgerin überzeugt. "Aber damit kann ich leben", meint sie selbstbewusst. Was sie anders als Gauck machen werde, darüber hält sich die 52-Jährige noch bedeckt. Es stehen so brisante Entscheidungen wie jene an, ob die Akten des Altkanzlers Helmut Kohl, die Aufschluss über die Namen von Partei-spendern geben könnten, veröffentlicht werden. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Birthlers politische Karriere wegen einer Stasi-Verwicklung ein jähes Ende fand. Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin, die sich nach der Wende den Grünen anschloss, trat 1992 aus Protest von ihrem Amt als Bildungsministerin in der brandenburgischen Landesregierung zurück, weil sich Ministerpräsident Manfred Stolpe nicht klar zu seiner früheren Zusammenarbeit als Kirchenjurist mit der Stasi äußerte und vieles in seinen Erklärungen offen ließ. Die zum "Realo"-Flügel zählende Brandenburgerin wurde 1993 für ein Jahr zur Bundessprecherin der Grünen gewählt, galt aber schon damals als "Versorgungsfall". Danach hatte sie kein bedeutendes Amt mehr inne: So konnte sie mehrmals ihren Wahlkreis nicht gewinnen, andererseits die grüne Basis nicht überzeugen. Zuletzt arbeitete sie als Mitarbeiterin der Bundestagsfraktion für Personalentwicklung. Dass nun auf sie die Wahl fiel, nach zehn Jahren die Nachfolge von Gauck anzutreten, ist verständlich: Als eine, die federführend beim Umsturz in der DDR beteiligt war und damit Geschichte mit gestaltet hat, hat sie das moralische Gewicht für die Aufgabe, eines der schrecklichsten Kapitel der DDR-Zeit aufzuarbeiten. Zur Bürgerbewegung kam Birthler - wie Gauck - über die evangelische Kirche. Sie war fest verankert in der kirchlichen Opposition. Den Begriff Bürgerrechtlerin lehnt sie allerdings ab. Das sei nämlich ein Pseudonym für die Ewiggestrigen geworden, für solche, die "nur rückwärts leben", begründet Birthler. Sie will jedoch "nach vorne schauen", die Zukunft der Behörde mit ihren knapp 3000 Mitarbeitern sichern. Dabei könnte der Fall eintreten, dass sie Aufzeichnungen der Stasi über Stolpe in die Hände bekommt. Birthlers inzwischen geschiedener Mann Wolfgang, mit dem sie drei Kinder hat, sitzt ebenfalls in Stolpes Kabinett. Er ist Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Brandenburg - und gehört der SPD an. (Alexandra Föderl-Schmid) (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 12.10. 2000)