Wien - Nein, wenn er sich mit einem Orchester zum ersten Mal trifft, hat er keine besonderen Prüfungswerke, anhand derer er die Qualität des Kollektivs testet. Insofern waren beim Kennenlernen des Orchesters der Wiener Volksoper Beethovens 4. Symphonie und Wagners Holländer-Ouvertüre zufällig gewählt. Natürlich nicht ganz: "Ich wollte einmal das Orchester in großer Besetzung hören, wollte sehen, was es an Eigenarten und Eigenleben gibt. Beethovens Vierte ist hingegen eine der durchsichtigen Symphonien. Da hört man die kammermusikalischen Qualitäten", sagt Thomas Hengelbrock, der heute mit Strawinskys The Rake's Progress seine erste Premiere als Musikchef der Volksoper bestreitet und verneint, dass es beim Zusammentreffen um eine einseitige Prüfung ging. "Ich habe das umgekehrt gemacht: Ich habe gesagt, ich bestehe darauf, dass das Orchester eine Abstimmung macht. Wir musizieren, setzen uns nachher zwei Stunden zusammen, dann fahre ich einfach einige Tage weg, und dann machen die eine Abstimmung. Das Votum war sehr deutlich. Es gab, so glaube ich, nur zwei Gegenstimmen. Ich wollte mich nicht einer Situation aussetzen, in der ich das Gefühl habe, nicht willkommen zu sein." Nun, er war und ist willkommen. Das wundert insofern nicht, als der 42-Jährige einen neuen Typus des Dirigenten spiegelt. Er war Konzertmeister der Jungen Deutschen Philharmonie, hat auch Erfahrungen im Popbereich (mit Konstantin Wecker!), er pendelt als Dirigent gerne zwischen Barock und Moderne und setzt auf Kooperation mit Musikern: "Ich sehe mich in erster Linie nicht als Dirigent. Die Erfordernisse des Projektes, an dem wir arbeiten, bedingen meine Rolle. Bei Rake's Progress ist man natürlich als Dirigent nötig - ein unglaublich schwieriges Werk! Manchmal mache ich aber fast nichts: Ich habe Konzerte gehabt, da saß ich 70 Prozent des Abends auf meinem Stuhl neben den Musikern und hörte nur aufmerksam zu. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit dem Eingreifen die Dinge, die sich schon abgespielt haben, nur stören würde." Natürlich gibt es auch Grenzen bei Hengelbrock: "Wenn lieblos musiziert wird, dann bedrängt mich das so, dass ich gehen muss. Nicht, weil ich snobistisch bin, sondern weil es mich quält!" Nun, an die Wiener Volksoper ist er für zwei Jahre gebunden, weitere Jahre sind möglich, es gibt schließlich einiges zu tun, was die Dauer von zwei Jahre sprengen müsste. "Ich bestimme mit, wer singt und dirigiert, auch die Programmatik des Hauses bestimme ich mit - das ist auch erwünscht. Ich versuche natürlich auch, ein bisschen zu korrigieren. Im musikalischen Bereich gab es da schon Sachen, die man ändern muss - bei Sängern und Dirigenten. Ich will aber nicht mit der Brechstange vorgehen, es muss alles auch sozial verträglich ablaufen." Hengelbrock möchte auch, dass "sehr prominente Leute wieder am Haus dirigieren. Keine Namen, bitte! Wir brauchen ab und an auch bekannte Sänger. Aber es ist schwer, man muss sparen. Das soll natürlich den Ensemble-Gedanken keinesfalls infrage stellen. Cecilia Bartoli? Vielleicht! Ich kenne sie, und sie möchte mit mir zusammenarbeiten." Man wird sehen. Sicher ist, dass er mit seinem Orchester auch Konzerte geben wird, denn: " Das Orchester soll sichtbar werden - auch für das Publikum. Wenn die Leute immer im Gaben verschwinden, jeden Abend, dann trägt das nicht gerade zum Selbstvertrauen eines Musikers bei." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 10. 2000)