Zu den plattesten Metaphern der Gegenwart gehört das Bild von den kranken Universitäten. Der Reflex, den diese Rede auslöst, ist dann auch unvermeidlich: Es hagelt Therapievorschläge, unter denen der vermeintlich Kranke dann erst wirklich zusammenzubrechen droht.

Allmählich bekommt man Lust, die schiefe biologistische Metapher auch ein wenig umzudrehen: Nicht die Universitäten, sondern ihre Kritiker sind krank. Sie leiden an einer bedenklichen Trübung des Realitätssinns, an einer besorgniserregenden Professorenphobie, an einem irrationalen Reformfuror und an einem sadomasochistischen Sparzwang. Keine guten Aussichten, um die Lage der Universitäten zu verbessern.

Wären die Universitäten so schlecht, wie ihre Kritiker behaupten, wäre Österreich in jeder Hinsicht ein Entwicklungsland und nicht eines der reichsten Länder der Erde, und kein junger Mensch, der bei Sinnen wäre, würde hier studieren wollen.

Allmählich könnte es den Beobachtern der Szene dämmern, dass der angebliche Reformbedarf der Unis in dem Maße zunimmt, in dem sie reformiert werden. Seit Jahren jagt eine Reform die andere, kaum ist die letzte Uni ins UOG 93 gekippt, ist dieses auch schon hinfällig, kaum gibt es ein neues Hochschullehrer-Dienstrecht, muss es ersetzt, kaum gibt es ein neues UniStG, muss es grundlegend novelliert werden. Die bei solchen offenbar permanent missglückenden Reformen verausgabten materiellen und geistigen Ressourcen müssten jeden, der wirklich sinnvoll sparen will, zum Weinen bringen.

Nullsummenspiel

Studiengebühren, die unter der Bedingung, dass sie unter der Hoheit der Universitäten lägen und ausschließlich diesen zugute kämen, Sinn machen können, werden als budgetäre Geldbeschaffungsmaßnahme eingeführt und durch "soziale Abfederungen" gleich wieder relativiert, so dass am Ende ein Nullsummenspiel droht, das den Aufwand wohl nicht lohnte; Prüfungstaxen werden gestrichen, noch ehe das als Alternative angebotene All-inclusive-Gehalt auch nur in Umrissen sichtbar ist.

Gerade an letzterem Beispiel lässt sich zeigen, dass die programmatische Geschwindigkeit der Regierung ihr tatsächlich keine Zeit zum Nachdenken mehr lässt. Mit den Prüfungstaxen wird der einzige relevante leistungsbezogene Gehaltsbestandteil gestrichen, der auf die völlig unterschiedliche Belastungssituation von Universitätslehrern reagierte, die der Tourismusindustrie entlehnte Formel all-inclusive suggeriert nur eines: Egal, was und wie viel gearbeitet wird - es bekommt jeder dasselbe.

Das widerspricht nicht nur dem internationalen Trend, sondern belohnt die Faulen und bestraft die Fleißigen.

Ein genereller Nebeneffekt solcher Maßnahmen: Die heimischen Universitäten werden als Betätigungsfeld qualifizierter Wissenschafter immer unattraktiver. Wer kann, wird in die Wirtschaft oder die private Forschung abwandern, was bedeutet, dass gerade für wirtschafts-und techniknahe Institute, an denen angeblich unsere Zukunft hängt, über kurz oder lang nur mehr drittklassiges Personal zu finden sein wird. Auch ausländische Spitzenkräfte werden unter diesen Bedingungen kaum mehr zu gewinnen sein.

Provinzialisierung

Und durch die unter dem Titel der Serviceorientiertheit vorangetriebene Provinzialisierung werden die Unis auch nicht unbedingt besser. Die zur neuen Tugend des Professors hochstilisierte Rund-um-die-Uhr-Anwesenheit kann letztlich gerade für Studierende kontraproduktiv sein: Sie haben in der Regel von einem Professor, der nicht jederzeit erreichbar ist, weil er zu Vorträgen, Kongressteilnahmen und Gastprofessuren eingeladen ist oder Kontakte zur Öffentlichkeit unterhält, mehr als von einem griesgrämigen und demotivierten Bürohocker, der am 31. August oder 23. Dezember darauf wartet, dass ein vereinsamter Student mit einer Frage auftaucht, die jederzeit auch per E-Mail hätte beantwortet werden können.

Was an den kritischen Vorschlägen zur "Verbesserung" der Universitäten allerdings besonders nervt, ist deren prinzipielle Borniertheit. Jedes Mal taucht in diesen Spar-Debatten, in denen vor allem an Intelligenz gespart wird, das Argument mit den Orchideenfächern auf. Dieses zeigt nur, dass man keinerlei Verständnis mehr dafür hat, dass Kreativität in der Wissenschaft ohne eine Neugier, die nicht immer gleich nach dem Nutzen fragt, unmöglich ist. Und abgesehen davon, dass ein Staat wie Österreich, der sich viel auf seine Kultur zugute hält, gerade in die weltweit expandierenden Kulturwissenschaften investieren müsste, weil da mit wenig Geld viel Anerkennung und Renommee zu holen wäre, greifen die Kritiker der Orchideenfächer mit ihren Beispielen regelmäßig treffsicher daneben. Die vom Finanzminister erst jüngst inkriminierte Orientalistik lehrt etwa so bedeutungslose Dinge wie die arabische und türkische Sprache, vermittelt solch unsinniges Zeug wie Geschichte, Literatur und Kultur der Länder des vorderen Orients, Gebiete, die bekanntlich weltpolitisch so gut wie keine Rolle spielen - nur Bill Clinton sagte wegen einiger kleinerer religionsgeschichtlich motivierter Schießereien in dieser fernen Region alle seine Termine ab.

Angesichts dessen, was sich gegenwärtig Bildungspolitik nennt, stellt sich allenthalben eine grundsätzliche Frage: Was hätte von einer wirklich bürgerlichen oder gar konservativen Regierung erwartet werden können? Eine solche Regierung hätte sich wahrscheinlich demonstrativ zur Humboldtschen Universität, ihrer Tradition und ihren Entwicklungspotenzialen bekannt; sie hätte, im Vorgriff auf die ohnehin anvisierte Autonomie, Probleme der "Studienplatzbewirtschaftung" - also die Frage von Studiengebühren, Eingangsprüfungen, Eignungstests etc. - den einzelnen Universitäten und dem Wettbewerb zwischen ihnen überlassen; sie hätte für die Lehrenden leistungsbezogene Anreize wie die Prüfungsgelder ausgeweitet, klare Richtlinien zur Evaluation von Lehre und Forschung ausgegeben, leistungsorientierte Karrieren heimischer Wissenschafter durch Verbesserung der Rahmenbedingungen und langfristige Perspektiven unterstützt und sich gleichzeitig programmatisch zur institutionellen Verankerung der Freiheit von Forschung und Lehre bekannt; sie hätte es insgesamt als ihre Aufgabe betrachtet, das Image der Universitäten nach außen zu verbessern und im Inneren bei allen die Motivation zu heben; und sie hätte ihren Partnern in der Wirtschaft klargemacht, dass die Aufgabe von Universitäten nicht nur darin besteht, möglichst schnell brauchbare Mitarbeiter für die Unternehmen zu produzieren, sondern insgesamt in der Entwicklung, Ausweitung, Vermittlung und kritischen Reflexion der Wissenschaften in all ihrer Breite und Vielfalt, auch und gerade im Hinblick auf die Bedeutung derselben für eine moderne Wissens-, Kultur- und Kommunikationsgesellschaft. Sie hätte den klassischen Bildungsbegriff revitalisiert.

Zumindest in dieser Hinsicht wäre eine wirklich bürgerliche Alternative zum ubiquitären Einsparungs-, Effizienz- und Servicegeschwätz eine durchaus interessante Sache gewesen. Allerdings: In dieser Regierung scheint die Bereitschaft, auch nur den Habitus des gebildeten Bürgers einzunehmen, nicht besonders ausgeprägt zu sein.

Konrad Paul Liessmann ist Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien.